piwik no script img

StadtgesprächNicht erwischen lassen

Fahrverbote und Umgehungstechniken: Wie die Pariser mit dem Smog leben

Rudolf Balmer Aus Paris

Paris ist momentan besonders reizvoll – buchstäblich. Beim Atmen kratzt es im Hals, die Augen ­tränen und die Empfindlichsten klagen über Kopfweh. Der Wintersmog und seine Folgen, das ist in diesen Tagen das Hauptgesprächsthema bei der Arbeit, in den Schulen oder auch zu Hause.

Schuld daran ist eine außergewöhnliche, unerträglich hohe Konzentration von Feinpartikeln, für die wiederum vor allem die Dieselmotoren im Straßenverkehr verantwortlich sind.

Selbst über das seit Tagen anhaltend sonnige Wetter kann man sich nicht recht freuen. Beim Zeitungshändler fachsimpeln zwei Kunden angesichts der Smog-Titelzeilen über „kontinentale Hochdruckzonen“, „thermische Umkehrung“, die Folgen der Windstille … es sei denn, die Klimaveränderung habe auch da einen Einfluss.

Eine dritte Person, die sich ins Gespräch mischt, nutzt die Gelegenheit, über die Staatsführung und insbesondere die rot-grüne Stadtregierung herzuziehen: „Die reden ständig von Umwelt, wenn es aber mal drauf ankommt, haben sie keine Lösung, außer uns das Autofahren zu verbieten!“ Smog ist eben auch Politik.

Seit Dienstag nämlich, das hat die Bürgermeisterin Anne Hidalgo zusammen mit der zuständigen Polizeipräfektur angeordnet, dürfen an einem Tag nur die Pkws mit geraden Nummernschildern und am folgenden Tag die anderen mit ungeraden fahren.

Darüber lässt sich polemisieren. Denn erstens ist die Effi­zienz dieser alternierenden Fahrverbote umstritten: Der Straßenverkehr werde so um höchstens 2o Prozent reduziert, und nach derzeitigen Messungen sinke die Konzentration der Feinpartikel in der Pariser Luft aber um nur 4 bis 5 Prozent. Zweitens kann man also davon ausgehen, dass diese Verkehrsbeschränkungen nicht sehr diszipliniert respektiert werden.

Denn drittens haben unzählige Berufskategorien eine Ausnahmebewilligung; schließlich meinen manche undisziplinierte Automobilisten, einen Sonderstatus für sich beanspruchen zu können. Ein Blick auf eine Verkehrsachse im Zentrum wie die Rue de ­Rennes beim Bahnhof Montparnasse genügt, um zu konstatieren, dass viele Fahrzeuge unterwegs sind, die eigentlich Fahrverbot hätten.

Jeden Tag fahren dürfen alle Elektromobile, Fahrzeuge mit drei oder mehr Passagieren, öffentliche Dienste, Taxis und Fahrzeuge von Uber etc., Journalisten (merci beaucoup!), aber auch gewisse Zulieferer und Handelsreisende. Die Definition ist vage genug, um Redegewandten im Fall einer Kontrolle einen Verhandlungsspielraum zu lassen, um die drohende Geldstrafe von 22 Euro zu umgehen.

Der neue Sport in diesen Smogtagen: sich nicht erwischen lassen! An 140 Stellen warten jedoch die Beamten, um Zuwiderhandlungen zu ahnden.

Eine Fernsehreporterin des staatlichen Senders France-2 führte indes vor, wie sie während Stunden (nicht sehr umweltbewusst) im Süden der Hauptstadt herumkurven konnte, bis sie endlich in eine Polizeikontrolle geriet. Dank Presseausweis kam sie ungeschoren davon.

Amüsant, wenn auch nicht sehr überzeugend, klingen die Ausreden der an der Porte d’Orléans erwischten Verkehrssünder: „Ich lese keine Zeitung, höre nicht Radio und schaue nie die Nachrichten am Fernsehen“, versuchte sich ein Schlaumeier (erfolglos) herauszureden. Andere argumentieren anrührender: Sie mussten ihre Zwillinge in die Krippe oder die Großmutter ins Krankenhaus bringen.

Vielleicht würden die Verkehrsbeschränkungen wegen Smogs besser und bereitwilliger respektiert, wenn der öffentliche Verkehr aus diesem Anlass nicht nur gratis wäre, sondern auch dem Ansturm entsprechend funktionieren würde. Das war leider nicht der Fall, und das war das zweite große Thema beim Pausenschwatz vor den Kaffeemaschinen: Ausgerechnet am Mittwoch legten technische Pannen mehrere Linien der RER-Schnellbahn viele Stunden lang lahm. Das war doppelt ärgerlich für alle, die aus Rücksicht auf die Luft ihren Pkw solidarisch zu Hause gelassen hatten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen