: „Politik hat in der Popmusik nichts zu suchen“
Bei politischem Engagement von Musikern kommt immer nur Mist raus, sagt Sven Regener, Sänger der Band Element of Crime. Im besten Fall, meint er, ist Politpop einfach nur peinlich, im schlimmsten Fall dumme Manipulation
taz: Seit „Romantik“, Ihrer letzten CD, ist viel passiert – der 11. September, die ganze Welt hat sich verändert. Und Sie singen nun über Delmenhorst, über Provinz, über traurige Liebesgeschichten – nennen Ihre neue CD dann aber „Mittelpunkt der Welt“. Ist das: Wir machen unbedingt unser Ding weiter, egal, was um uns herum geschieht?
Sven Regener: Wir können natürlich gern über den 11. September diskutieren. Aber wir sollten dabei nicht singen. Das ist ein Missverständnis, Musik betreffend. Man muss nicht glauben, dass man über alles singen können muss. Das ist Quark. Ich will nicht, dass im Bundestag gesungen wird, Schluss, aus. Ich will das einfach nicht. Ich will nicht, dass Politiker singen.
Und im Umkehrschluss sollen Sänger keine Politik machen?
Blödsinn, jeder soll Politik machen. Politik ist wichtig. Es ist bloß zum Beispiel keineswegs so, dass Bono Vox, nur weil er bei U2 singt, dafür prädestiniert wäre, die Probleme der Welt zu lösen. Möchte ich glatt bestreiten. Seine Meinung ist natürlich legitim, aber auch nur genauso legitim wie die Meinung von irgendjemandem sonst, tut mir leid. Wenn jemand Musiker ist, ist er nicht mehr dazu berufen, die Welt zu retten, als wenn er Klempner ist. Nichts gegen Klempner übrigens.
Trotzdem …
Trotzdem ist es so, dass viele Musiker denken, sie seien zur Welterrettung berufen. Stimmt. Aber das sind Allmachtsfantasien, nichts weiter.
Geht es nicht auch darum, dass Einflüsse von außen auf einen wirken und man ihnen eventuell Ausdruck verleihen möchte?
Das ist nur ein Betroffenheitsding. Man findet etwas schlimm und will darüber singen. Dabei kommt doch oft nur Mist raus. Man kann natürlich sagen: Hey, wir hatten 11. September, Irakkrieg, Ozonloch und ihr macht immer noch Schallplatten. Warum eigentlich? Warum seid ihr nicht auf politische Essays umgestiegen? Das wäre die entscheidende Frage. Aber die Leute brauchen halt Musik, und zwar auch ganz zu Recht. Und wir machen Musik. Fertig. Ich kann nichts Schlimmes daran erkennen.
Dennoch: Neu erfunden hat sich Element of Crime mit der neuen CD nicht gerade.
Warum denn auch? Das hier ist der Sound und der Stil, für den wir als Band nun mal stehen. Schon klar, gesellschaftlich gibt es einen Veränderungskult. Aber, im Ernst, warum soll man den unbedingt mitmachen müssen? Flexibilität ist schließlich kein Wert an sich. Das ist reine Ideologie, und da stehen dann auch Interessen dahinter, die man nicht teilen muss.
Das klingt sehr politisch.
Dass ich gegen Politik in der Musik bin, heißt ja nicht, dass ich ein unpolitischer Mensch bin. Aber was die Musik betrifft: Es ist bei dieser Art von Agitproprock noch nie etwas Gutes herausgekommen. „Give Peace A Chance“, also ehrlich! Bei allem Respekt, aber das ist nicht das stärkste Lied von John Lennon. Das ist noch nicht einmal das stärkste Lied von Yoko Ono. Oder „Das weiche Wasser bricht den Stein“: Vielen Dank, Dieter Dehm! Aber ohne mich. Da werde ich richtig bösartig. Zu glauben, dass Politik so billig zu haben ist! Durch Verszeilen, die bei anderen Menschen, die derselben Meinung sind wie du, Vorurteile bestätigen. Das geht gar nicht.
Dass Ihre Songtexte platte Politisierung betreiben, wird niemand behaupten. An einer Stelle heißt es: „Schmutzige Gedanken wärmen mir ein Heim / In dem der Kühlschrank als Einziger nicht friert“ …
Ne, Moment, ich muss noch mal zurück: Findet man es wirklich okay, wenn BAP ein Lied macht wie „Kristallnacht“? Und das auf einem Festival spielt und alle machen die Feuerzeuge an. Ist das cool? Ist das politische Aufklärung? Ich sage, im besten Fall schadet es nichts. Dann ist es nur peinlich, schlechte Kunst. Im schlimmsten Fall aber ist es dumme Manipulation.
Peinlich, okay. Aber Manipulation?
Doch. Das sieht man daran, dass Politrock jetzt als Rock von rechts gekommen ist. Da ist die Verbindung von Musik und Politik plötzlich keinem mehr recht. Dabei wird aber klar, was für eine manipulative und antiaufklärerische Wirkung sie haben kann. Politik und Gefühl sollte man nicht miteinander vermengen, da kommt nichts Gutes bei raus. Denn Gefühle sind individuell, man kann kaum über sie streiten. Aber über Politik sollte man schon streiten können. Analysen sind auf diesem Feld auch nicht verkehrt. In der Politik geht es nämlich um Ideen, um Macht und natürlich um Interessen.
Was genau meinen Sie mit Rock von rechts?
Die kennt man doch alle. Störkraft und solche Bands.
Auch um Gruppen wie Mia gab es zuletzt Diskussionen. Weil sie mit den Farben Schwarzrotgold posiert hat.
Ach, Käse. Entschuldigung mal, aber da nimmt eine Band die schwarzrotgoldene Flagge her und die ganzen Schlaumeier in den Medien sagen, das wären jetzt Nazis. Bei allem Respekt, seit wann haben Nazis etwas mit der schwarzrotgoldenen Flagge zu tun? So blöd muss man erst mal sein. Das hatten die Nazis nämlich gerade nicht. Wenn diese Schlaumeier den Durchschnitt der deutschen Antifa bilden, dann tut es mir furchtbar leid.
Sie setzen auf die Trennung von Politik und Musik, das ist klar geworden. Musikmachen kann aber auch selbst politisch sein. Als politisch relevant wurde etwa lange das Verhältnis von Musikern und Plattenfirmen diskutiert.
Auch so eine Sache. Viele Musiker reden darüber wie über ein Mutter-Kind-Schema. Ich finde, das klingt oft ödipal, irgendwie zwischen Vatermord und mit der Mutter schlafen. Das ist aber ein Fehler. Denn die Beziehung einer Band zu einer Plattenfirma ist eine reine Geschäftsbeziehung. Wir nehmen eine Platte auf, und die bringen sie in den Handel. Das ist der ganze Deal. Der andere Kram ist Pipifax.
Mit einem einst politisch aufgeladenen Begriff wie „independent“ können Sie nichts anfangen?
Auch mit einem Indielabel ist es eine reine Geschäftsbeziehung. Dieser Indie-Mythos kommt daher, dass viele Musiker früher sehr jung waren und sich übern Tisch haben ziehen lassen. Die Zeiten sind aber schon lange vorbei, das ist so altmodisch wie ein Handkuss.
Man hört dann und wann schon noch davon.
Als Klischee wird es vielleicht immer wieder neu aufgebaut, wie ein Traumbild. In Wirklichkeit ist es aber so: Alles läuft so lange gut, wie du genug verkaufst. Wenn du zu wenig verkaufst, werden sie diese Geschäftsbeziehung kündigen. Das ist Vertragsfreiheit. Die Welt ist einem nichts schuldig. Das ist die ganze zynische Wahrheit.
Sie beklagen das nicht?
Das würde nichts bringen. Außerdem: Dass es zwischen uns und unserer Plattenfirma gut läuft, macht mich ja nicht weniger oder mehr zu einem künstlerischen oder politischen Menschen. Es ist eher gut, die geschäftliche Seite von der künstlerischen frei zu halten. Wir kümmern uns um unsere Musik, und die kümmern sich darum, wie man sie verkauft.
Bisher hat das ja auch gut geklappt.
Klar. Aber niemand von uns hat Illusionen darüber, was passiert, wenn es nicht mehr klappt. Ich jedenfalls habe die ganz bestimmt nicht.
INTERVIEW: DIRK KNIPPHALS