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Große Bandbreite

Filmfestival Turin sollte daran arbeiten, Italiens zweites relevantes Filmfestival zu werden

Frei vom Glamour der großen Festivals, bietet sich ein guter Blick auf Trends

Ein Wettbewerb für internationalen fiktionalen Film, je einen für den internationalen und italienischen Dokumentarfilm und einen für den italienischen Kurzfilm, nebst fünf weiteren Festivalsparten – an Bandbreite mangelt es dem Filmfestival in Turin nicht. Angenehm frei vom Glamour der großen Festivals, bietet es einen guten Blick auf Trends und Entwicklungen im Dokumentarfilm und in der unabhängigen Filmproduktion – so weit zur Habenseite.

Die andere Seite der Medaille ist, dass nur wenige Filme des Wettbewerbs wirklich mitzureißen vermögen. Das scheint nicht nur den gegenüber Venedig sicher geringeren Mitteln geschuldet, sondern auch der Auswahl und den Vorlieben. Hat doch just einer dieser mäßig mitreißenden Filme den Hauptpreis gewonnen.

„The Donor“ von Zhang Yi­mous ehemaligem Regieassistenten Qiwu Zang ist ein passables Drama um Organspende, Arm und Reich im China des Wirtschaftsbooms und sieht aus wie chinesische Festivalbeiträge so aussehen: lange Einstellungen, wortkarg, mit gekonntem Kamerahandwerk. Von der Originalität der großen Vertreter des chinesischen Films wie Jia Zhangke oder Cao Baoping ist der Film aber denkbar weit entfernt.

Umso aufregender der Beitrag aus Hongkong zur Sektion Onde (Wellen): Rita Huis dreistündiger Film „Pseudo Secular“ mischt ausgehend von der Geschichte einer inhaftierten Aktivistin der Occupy-Central-Bewegung dokumentarische Aufnahmen von den Kundgebungen in Hongkong mit einigen fiktionalen Erzählsträngen zu einem atmosphärischen Zeitbild des Hongkongs der letzten fünf bis zehn Jahre. Auch im Wettbewerb fand sich mit dem Milieuporträt „Les derniers parisiens“ von Hamé Bourokba und Ekoué Labitey noch Sehenswertes. „Les derniers parisiens“ wurde mit dem Preis der Fipresci-Jury ausgezeichnet.

Lange Jahre war das Filmfestival von Turin für seine hervorragenden umfassenden Retrospektiven berühmt. Die diesjährige Auswahl zum Science-Fiction-Film unter dem Titel „Cose che verrano“ (Things to Come) wirkte jedoch etwas zusammengewürfelt. Die Präsentation der Filme war zudem recht ärgerlich: Mehrfach lief statt einer 35-mm-Kopie oder des üblichen digitalen Kinoformats DCP irgendein grauslig aussehendes digitales Irgendwas. Würde Turin zur Qualität früherer Retrospektiven zurückkehren, das Akkreditierungssystem überarbeiten und durchgängig englische Untertitel anbieten – Italien hätte endlich ein zweites relevantes Filmfestival. Fabian Tietke

Torino Film Festival, 18. 11. bis 26. 11. 2016. Der Aufenthalt des Autors in Turin wurde vom Festival unterstützt.

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