piwik no script img

Zu viele Pyramiden, zu viele Sklaven

OPERNPREMIERE Barrie Kosky stellt in der Komischen Oper seine Version der Operette „Die Perlen der Cleopatra“ von Oscar Straus vor. Sie würde auch auf einem Festival für Postdramatik gute Figur machen

von Niklaus Hablützel

Wer die Operette liebt, weil dort das Leben ein einziger Traum seliger Melodien ist, sollte besser zu Hause bleiben. Barrie Kosky meint es ernst, gerade mit Oscar Straus, der seine Karriere zwar mit einer Operette unter dem Titel „Ein Walzertraum“ begann. Das war 1907 in Wien, ein schwüles Stück mit Damenkapelle, doch schon 1923, als seine „Perlen der Cleopatra“ herauskam, war der süße Traum zu Ende. Straus kam obszön zur Sache. „Ach Anton, lass den Degen in der Scheide“, singt die Königin der Ägypter, und sie meint es auch so, weil sie immer so „einsam und allein“ ist.

Fritzi Massary spielte die Rolle, zuerst in Wien, dann auch in Berlin, frech und direkt. Dar­an knüpft Kosky an, an diesen widerspenstigen Geist der Moderne, den Straus auch mal mit Jazz instrumentiert und mit Walzerliedern, die so klingen, als seien sie damals schon ein ironisches Zitat gewesen. Aber es sind nicht die angeblich Goldenen 20er Jahre, die Kosky in Erinnerung rufen möchte. Er nimmt die Vorlage nur zum Anlass, ein völlig neues, modernes Musiktheater von heute auf die Bühne zu stellen.

Vom alten Straus ist nicht viel übrig geblieben. Adam Benzwi hat die Musik erweitert und auch mal umgeschrieben, Kosky hat den Text neu eingerichtet und dramatisiert. Geblieben ist nur der wache Geist des jüdischen Weltbürgers, der auch in Hollywood erfolgreich war. Ob man sein jetzt zum zweiten Mal uraufgeführtes Stück noch „Operette“ nennen soll, ist unerheblich. Es würde auch auf einem Festival für avantgardistische Postdramatik gute Figur machen. Das Bühnenbild von Rufus Didwiszus erinnert mit seinen Schwarzweißmustern an die Op-Art der 60er Jahre. Sehr leicht bekleidete Tänzer und Tänzerinnen spielen mit Expressionismus und Bauhaus zugleich, Chor und Solisten stecken in extrem bunten Kostümen, die aus einem Comic-Album herausgeschnitten sein könnten. Die Überfülle an Ebenen, Motiven, Anspielungen und Zitaten macht das Zuschauen manchmal so anstrengend wie immer, wenn so gut wie alle konventionellen Erwartungen enttäuscht werden.

Die Liebesflöte des Persers

Aber Kosky und Benzwi haben Dagmar Manzel. Sie war schon als „Frau, die weiß, was sie will“ von Oscar Straus sensationell, jetzt übertrifft sie sich selbst. Sie kann so viel, dass auch dieses Mal eine einzige Rolle zu eng wäre. Sie hat sich deshalb eine sprechende Katze hinzuerfunden. Sie heißt „Ingeborg“, ist ein Handschuh und berlinert mit Manzels Bauchstimme immer dann daher, wenn es am wenigsten passt. Manzel ist in Köpenick aufgewachsen, sie kann es wirklich. Auch als Königin der Ägypter in der größtmöglichen Robe, die sich die Kostümbildnerin Victoria Behr ausdenken konnte, wechselt sie in den Dialekt, der dann wirklich von janz unten kommt.

Dann ist sie zum Lachen komisch, eine ordinäre Schlampe im Himmelbett, die einfach zu viel Geld hat – oder Pyramiden und Sklaven. Es fehlt ihr halt was, auch die Liebesflöte von diesem Perser bringt es nicht, und was soll man von einem römischen Hauptmann schon halten? Es sind jedoch nicht diese Szenen eines derben Schwanks, die am meisten faszinieren. Übergangs- und mühelos verwandelt Manzel ihre Figur in ein groteskes Monument der Herrschaft in einem absurden Gottesstaat. Natürlich ist das kritisch gemeint, und man darf sogar Vorwarnungen vor den Nazis herauslesen oder auch vor den neuen Nationalfaschisten von heute. Aber darauf kommt es nicht an. Groß ist dieses Theater, weil es auch seine aktuellen Bezüge einbaut in die Konzeption eines absoluten Bühnenkunstwerks, das für sich allein auf seinen eigenen Regeln steht.

Schwer zu sagen am Ende, wer diese Cleopatra ist. Eine extreme, ambivalente Kunstfigur, die dann auch noch radikal abstürzt. Peter Renz kommt als Marc Anton schwer besoffen in Cleopatras Sarkophag, wo „Schultheiß“ ausgeschenkt wird. Sie ist mal wieder so „einsam und allein“ in der Berliner Eckkneipe und: „Wenn du der Toni bist, bin ich die Klo-Petra“. Furchtbar, aber wer so viel kann wie Dagmar Manzel, darf auch das.

Dominique Horwitz, der andere Gaststar des Abends, kann da nicht mithalten. Er ist grandios kostümiert, beschränkt sich aber auf seine immer gleichen Gesten. Besser zurecht kamen die Ensemblemitglieder Dominik Köninger und Johannes Dunz. Und die junge Sopranistin Talya Liebermann aus dem Opernstudio kann sogar ein wenig Trompete spielen. Aber sie alle sind in dieser Inszenierung Statisten. Es ist der Abend von Dagmar Manzel und Barrie Kosky. Der Applaus nach der Premiere war überwältigend.

Nächste Vorstellungen: 13., 15., 19., 21. Dezember

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen