Hausbesuch In ländlichen Gegenden verschwindet der Tante-Emma-Laden. In Bernitt eröffnen Ulrike Klattund Janko Lücke einen neuen, getragen von einer Genossenschaft. Ein Vorbild für andere ostdeutsche Dörfer?: Er ist wieder da
Von Luise Strothmann (Text)und Christian Lehsten (Fotos)
Zu Besuch bei Ulrike Klatt (37) und Janko Lücke (47) im Dorfladen Bernitt in Mecklenburg.
Draußen: Felder, auf denen der junge Winterweizen aus der Erde schaut. Am Horizont drehen sich Windräder. Bernitt ist ein Straßendorf – Kirche, Backsteinbauten, verputzte Einfamilienhäuser reihen sich entlang der Langen Straße. Wer an der Eiche mit dem Fritz-Reuter-Gedenkstein abbiegt, kommt zu einem kleinen Rondell mit drei DDR-Flachbaubaracken. Eins ist das Gemeindezentrum mit dem neuen Dorfladen. Jetzt, kurz vor der Eröffnung, hängen Bettlaken vor den Fenstern. Es war Janko Lückes Idee: „Die Leute sollen ruhig gespannt sein, bevor es losgeht.“
Drinnen: Früher war hier das Heimatmuseum, aber zuletzt kamen nur noch ab und zu die Grundschüler vorbei. Geblieben ist die Mangel in der Ecke und die alte Krämerwaage auf dem Verkaufstresen. Gegenüber stehen nun weiße Regale an den Wänden, zwei Kühlschränke, eine Tiefkühltruhe. Weiter hinten ist ein Computer, eine Küche und ein Holztisch zum Kaffeetrinken und Suppe-Essen. Eröffnungstag: der 2. Dezember. Jetzt, vier Tage davor, stapeln sich im Eingang noch Kartons. Ulrike Klatt und Janko Lücke tragen, ordnen, verräumen. Im Vorraum sitzt Ulrike Klatts Mutter im Rollstuhl und klebt Etiketten auf Apfelsaftkartons, zwei Lieferanten schieben den Zigarettenautomaten hinein. Später sollen noch Socken kommen.
Der Landstrich: Mecklenburg-Vorpommern macht an vielen Stellen eine Politik des vorauseilenden Gehorsams in Anbetracht des demografischen Wandels. Kreise werden vergrößert, Schulen zusammengelegt – teilweise mehr, als es die wirkliche Abwanderung erfordert. „Erst ist die Kneipe weg, dann der Konsum, dann die Schule, so war das doch nach der Wende überall“, sagt Janko Lücke.
Das gibt es: Bernitt hat 500 Einwohner, die 13 Dörfer der Gemeinde zusammen 1.700. Es gibt noch eine Schule und eine Kita, einen Allgemeinarzt und einen Zahnarzt. Alle 14 Tage am Freitag macht eine Friseurin ihren Salon auf. Bäckerwagen und Sparkassenauto kommen vorbei.
Das gibt es nicht: Bis 2013 betrieb eine Frau im Dorf den alten Konsum. Dann ging sie in Ruhestand. Zum Einkaufen musste man nun 15 Kilometer fahren. Bald danach traf sich Ulrike Klatt mit ein paar Leuten und überlegte, wie sie wieder einen Laden ins Dorf kriegen. Einer, der auch Treffpunkt ist. „Die Hausfrauen haben Langeweile“, murrten ein paar im Dorf.
So kommt es wieder: Janko Lücke fand irgendwann einen Flyer der Dorfladengruppe in seinem Briefkasten, bei der Ulrike Klatt und die anderen erklärten, dass sie eine Genossenschaft gründen wollen. „Richtig professionell war das aufgezogen mit Powerpoint“, sagt er. So kam er dazu. Ulrike Klatt kennt sich damit aus, wie man Fördermittel beantragt. Die Renovierung der Toilette im Laden bezahlte ein EU-Programm, die neue Eingangstür das Landesenergieministerium, durch ein Crowdfunding kam Geld für das erste Warensortiment zusammen.
Sie: Ulrike Klatt wuchs in Thüringen auf. Auf dem Hof ihres Onkels verdiente sie erstes Geld mit Treckerfahren und Melken und spielte Fußball in der Jungenmannschaft. Sie wird Landschaftsplanerin und Umweltpädagogin – bestimmt mit Grundschülern Käferarten –, fängt später in einem Planungsbüro für Windkraftanlagen an. 2010 zieht sie nach Bernitt in eine Bauernkate mit Obstgarten. Ein Kind ist zu der Zeit schon da, ein zweites auf dem Weg. Die Familie schafft sich Tiere an – Enten, Katzen, im Sommer Schafe („die liegen jetzt schon in der Tiefkühltruhe“). Eine Freundin sagte ihr: „Wenn du in einem Dorf neu ankommen willst, muss du dich einbringen.“ Also ging sie in den Elternbeirat der Kita. „Aber wenn man in eingefahrenen Systemen neue Ideen einbringen will, kann das ziemlich aufreibend sein.“ Dann kam der Dorfladen.
Er: Nach dem Schulabschluss Ende der Achtziger in Warnemünde beginnt Janko Lücke eine Ausbildung zum Maurer. „Da war ich auch Genossenschaftsmitglied.“ Irgendwann ist er nur noch auf Montage. „Hamburg, Magdeburg, Berlin und wo wir alles rumgekrochen sind.“ Er startete einen Getränkelieferservice, entdeckte seine Leidenschaft fürs Verkaufen. Oder eher: fürs Begeistern. Für den Bernitter Apfelsaft („Mit einem Hauch Birne!“), den Honig des Dorfimkers („Spüren Sie mal, der ist nicht so krisselig auf der Zunge!“). Er hatte auch die Idee, an jedem Tag im Advent etwas im Laden zu verlosen: eine Bierzapfmaschine, eine Wärmflasche, eine Jever-Armbanduhr, ein Volleyball stehen bereit. „Ich bin nicht so der Discountertyp, ich brauche das Erlebnis“, sagt er.
Sortiment: Nutella, Erbseneintopf, Einwegrasierer, Oldesloer Doppelkorn. Im Laden soll es alles geben, was man täglich braucht. Außerdem Fisch aus der Region, Käse vom Hof im Nachbardorf. Dazu Kaffee, Kuchen, Mittagsimbiss und Postannahmestelle.
Gemeinschaft: „Wer mit 40 nicht hier einkauft, muss sich nicht wundern, wenn es den Laden nicht mehr gibt“, hat jemand bei der Gründungsveranstaltung zur Genossenschaft gesagt. Bisher gibt es 33 Mitglieder. Janko Lücke glaubt, dass die Genossenschaft ein gutes Rezept gegen Neid ist. Als sich eine Ladenbesitzerin im Nachbarort einen Gebrauchtwagen kaufte, hörte er, wie die Leute anfingen zu murren: „Das Auto kauft sie sich von unserem Geld.“ So was, sagt Lücke, passiert nicht, „wenn die Leute bei sich selbst einkaufen“.
taz.on tour: Unter dem Titel „Hier gibt es was zu tun! Mecklenburger Rezepte für den ländlichen Raum“ diskutieren Ulrike Klatt und viele andere am6. Dezember um 19 Uhr im Kloster Rühn in Mecklenburg
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