: Arbeitslose sollen Lokalproblem sein
Die Bundesregierung verlangt jetzt von den Kommunen die Zuschüsse zurück, die sie ihnen für die Unterbringung Langzeitarbeitsloser zahlte. Der Grund: Hartz IV ist viel teurer als geplant. Städte und Gemeinden protestieren vehement
AUS BERLIN RICHARD ROTHER
Sie sollte die öffentlichen Haushalte entlasten, in der Realität aber ist sie zu einer Belastung geworden: die Arbeitsmarktreform Hartz IV, mit der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt wurden. Weil sich viel mehr Menschen als bedürftig gemeldet haben, als die Reformer ursprünglich schätzten, sind jetzt die Kosten explodiert. Die Folge ist ein Streit zwischen Bund und Kommunen, wer dafür aufkommen muss. Einen „ersten Aufschlag“, so eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums, gab gestern die Bundesregierung. Sie fordert bereits gezahlte Leistungen von den Kommunen zurück und möchte weiteres Geld nicht zahlen – insgesamt müssten die Kommunen auf mehr als 3 Milliarden Euro verzichten. Ein entsprechendes Gesetz, das rückwirkend zum Januar wirksam werden soll, muss allerdings von Bundestag und Bundesrat gebilligt werden, womit kaum zu rechnen ist. Die Bundesregierung begründet ihren Vorstoß mit den neuen Zahlen der Hartz-IV-Betroffenen. Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD): „Die Kostenentwicklung führt uns angesichts der unerwartet hohen Zahl von Hilfeempfängern und Bedarfsgemeinschaften zu dem Ergebnis, dass der Bundesanteil der tatsächlichen Entwicklung angepasst werden muss.“ Allerdings bleibe es bei der Entlastung der Kommunen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, wie dies der Bund zugesagt habe.
Bei den strittigen Milliarden geht es um den Anteil des Bundes an den Unterkunftskosten für erwerbsfähige ehemalige Sozialhilfe-Empfänger, die jetzt das neue Arbeitslosengeld II beziehen. Deren Sozialhilfe zahlten ursprünglich die Kommunen, das ALG II zahlt jetzt jedoch der Bund. Weil dies zur Entlastung der Kommunen führt, verpflichteten sie sich zur Übernahme der Wohnkosten. Diese wiederum trägt der Bund zu 29,1 Prozent. Der will diesen Anteil soll nun „auf null“ reduzieren, wogegen die Kommunen protestieren.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, bezeichnete es als „absolut unrealistisch“, Rückzahlungen der Kommunen an den Bund zu erwarten. Viele Städte berichteten sogar von Mehrbelastungen durch Hartz IV, sodass eine höhere Bundesbeteiligung notwendig werden könnte. Clement räumte ein, dass ein Einvernehmen mit Ländern und Kommunen erzielt werden müsse.
Für Diskussionen sorgte auch die Ankündigung der Bundesagentur für Arbeit (BA), die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik einschränken zu wollen. Entsprechende Vorschläge einer Expertengruppe können aber allenfalls „Grundlage für eine politische Diskussion“ sein, so die BA. Entscheiden müsse die künftige Bundesregierung. „Die derzeit gesetzlich geregelten Förderinstrumente sind historisch gewachsen und mittlerweile kaum noch überschaubar“, stellte die BA fest. Die Vielfalt der Förderinstrumente verringere die Zeit für die Vermittlungstätigkeit.
Zur Disposition stehen nach den Vorschlägen der BA-Experten auch Kernideen der Hartz-Reformen. So könnten die Instrumente Ich-AG und Überbrückungsgeld, die Arbeitslosen den Weg in die Selbständigkeit ebnen sollen, zusammengefasst werden. Auch könnte der Zwang entfallen, in jedem Arbeitsagenturbezirk mindestens eine Personal-Service-Agentur (PSA) einzurichten. Der DGB begrüßte gestern Überlegungen zur Reform der Reform. „Auch wir wollen die Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit auf ihre Wirksamkeit überprüfen“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer in einem Zeitungsinterview. „Aber es geht nicht um eine Streichliste.“ Die Ich-AG sei daher über Steuern zu finanzieren und nicht über Beitragseinnahmen.
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