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heute in hamburg„Erleben einen Durchbruch“

ExtremismusDer Politologe Gideon Botsch spricht über die extreme Rechte und den Erfolg der AfD

Foto: privat
Gideon Botsch

46, ist Privatdozent und Mitarbeiter am Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam.

taz: Herr Botsch, ist die extreme Rechte heute stärker als kurz nach dem Zweiten Weltkrieg?

Gideon Botsch: Nein, vor allem weil sie nach dem Krieg eine große Zahl von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen und eine große Anzahl früherer Nationalsozialisten, die noch nicht wieder in Lohn und Brot standen, als Rekrutierungspotenzial hatte. Und zwar für offen rechtsextreme, teilweise auch offen neonazistische Organisationen.

Das heißt, der Erfolg der AfD vermittelt ein falsches Bild?

Die AfD ist bisher keine offen rechtsextremistische Partei. Sie ist eine Sammlungsbewegung mit einem rechtsextremen Flügel, der in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Sie spielt sehr geschickt damit, dass sie den Weg in den verfassungsfeindlichen Rechtsextremismus bisher nicht offen gegangen ist.

Sind rechtsradikale Einstellungen verbreiteter als früher?

Die Einstellungswerte sind über die Jahrzehnte konstant geblieben und im europäischen Vergleich nicht bemerkenswert. Wenn man aber nach organisierten Strukturen und Netzwerken im Rechtsextremismus fragt, nach Akteuren, dann muss man ein anderes Bild zeichnen.

Wäre Pegida ein Akteur?

Die AfD wäre ein Akteur, allerdings kein rechtsextremer. Pegida ist ein diffuses Phänomen, in dem offener Rechtsextremismus sich mit nicht rechtsextremen Positionen zu vermischen vermochte.

Schwer rechtsextrem wäre der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund?

Es sind auch die vielen Verlage, Parteien und Jugendverbände, die seit Jahrzehnten bestehen und von solchen Mobilisierungswellen zu profitieren versuchen. Wenn diese Wellen abebben, bleibt ein rechtsextremes Milieu und bleiben bestimmte organisatorische Verbindungen, die dazu geführt haben, dass das rechtsextreme Lager Jahrzehnte bestanden hat.

Dann erleben wir also gerade gar nichts Neues?

Doch, wir erleben einen Durchbruch, der dazu geführt hat, dass bestimmte Formen der Abgrenzung nicht mehr wirksam sind. Wir erleben eine Möglichkeit, Dinge auszudrücken, in Parlamenten, auf der Straße oder in den sozialen Medien, die wir in dieser Form jahrzehntelang nicht erlebt haben.

Interview: Gernot Knödler

Diskussion „‚Nationale Opposition‘ in der demokratischen Gesellschaft“, Gideon Botsch im Gespräch mit dem Historiker Oliver von Wrochem: 18.30 Uhr, Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Beim Schlump 83

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