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Gangster gegen Gentrifizierung

TV ZDFneo versucht sich mit „Tempel“ (ab heute, 21.45 Uhr) erstmals an eigener Dramaserie – und scheitert

Selbst Verliebte treffen sich an denkbar hässlichsten Orten Foto: Christian Stangassinger/ZDF

von Sven Sakowitz

Mit eigenen Comedy-Produktio­nen hat ZDFneo bereits Erfahrungen gesammelt. Jetzt probiert sich der kleine Sender an der Königsklasse und startet mit „Tempel“ (ab heute, 21.45 Uhr) seine erste hausgemachte Dramaserie. „Für uns ist das ein großer Schritt im Rahmen unserer Fiction-Strategie“, sagt ZDFneo-Chefin Simone Emmelius. „Wir möchten zunehmend in fiktionalen Produktionen die Themen unserer Zeit verhandeln, und die Serie ist derzeit die modernste und beliebteste Form der fiktionalen Erzählung.“ Auf bloße Kopien von amerikanischen Meilensteinen solle es dabei nicht hinauslaufen: „Wir möchten dezidiert deutsche Settings und Figuren haben, stets an die Erfahrungswelten unserer Zuschauer anknüpfen. Gleichzeitig ist uns aber wichtig, dass die Produktionen einen internationalen Look besitzen.“

Im Zentrum von „Tempel“ steht der Altenpfleger Mark Tempel (Ken Duken), der mit Frau (Chiara Schoras) und sechzehnjähriger Tochter (Michelle Barthel) im Berliner Wedding lebt. Das Geld ist knapp, außerdem wird die Familie von einer Entmietungsmafia terrorisiert. Die Gegend soll mit allen Mitteln aufgewertet werden, aber die Familie will ihre Wohnung nicht aufgeben. Um Geld in die Haushaltskasse zu bekommen, wendet Tempel sich an seinen alten Weggefährten, den übel beleumundeten Boxclub-Besitzer, Zuhälter und Drogendealer Jakob (Thomas Thieme). Nach der Geburt seiner Tochter hatte Tempel den Kontakt zu ihm einst abgebrochen, weil er sich nicht mehr in der kriminellen Szene bewegen wollte. Jakob empfängt den verlorenen Sohn mit offenen Armen, der brav gewordene Tempel schlittert zurück ins Rotlichtmilieu. Es dauert nicht lange, bis er den ersten Mord begeht.

Die Serie von Autorin Conni Lubek und Regisseur Philipp Leinemann hat ihre guten Momente, aber die Schwächen überwiegen deutlich. Die Verknüpfung von Gangsterfilm und Gentrifizierungskritik funktioniert nicht: Es wirkt unfreiwillig komisch, wenn Kiezkönig Jakob über die Folgen der Aufwertungsprozesse lamentiert und Drogenboss Milan (Aleksandar Jovanovic) im Proseminar-Stil zum gleichen Thema referiert. Störend ist auch, dass fast jede Szene aufdringlich dunkel inszeniert wurde, manchmal lassen sich die Personen kaum erkennen. Der Mangel an Licht macht aber noch keinen Look. Alles wurde auf düster und kaputt getrimmt, selbst Verliebte treffen sich an den denkbar hässlichsten Orten.

Das Hauptproblem aber ist, dass „Tempel“ nicht die Erwartungen ans komplexe, serielle Erzählen einer Serie erfüllt. Die Story und ihre Protagonisten wurden wohl für eine große Saga angelegt, aber in den nur sechs Mal dreißig Minuten bleibt viel zu wenig Zeit, von allen Figuren mit der für eine Serie gebotenen Tiefe zu erzählen. Manche Entscheidungen der Hauptfiguren lassen sich kaum nachvollziehen, zum Beispiel taucht Tempel doch überraschend schnell wieder in seine alte Welt ein. Wiederholt erscheinen interessante Charaktere auf der Bildfläche, die danach keine große Rolle mehr spielen. Insgesamt wirken die 180 Minuten eher wie ein zerstückelter Zweiteiler.

Die Story wurde als große Saga angelegt – aber es bleibt zu wenig Zeit für Tiefe

Der Wunsch, eine eigene Serie produzieren zu wollen, ist zu begrüßen. Aber dann darf so ein Projekt auch gern konsequent angegangen werden und nicht so, dass es wie die Hauptsache wirkt, dass das werbewirksame Wort Serie draufsteht. Mit einer längeren Spieldauer oder einer Reduzierung des Serienpersonals hätte „Tempel“ die Chancen auf ein gelungenes Ergebnis verbessert.

Ein kommerzieller Misserfolg von „Tempel“ wäre für Senderchefin Simone Emmelius wohl kein großes Drama: „Wir haben unsere Fiction-Strategie nicht auf Kurzatmigkeit angelegt“, sagt sie. „Wenn das erste Werk bereits ein Erfolg wird, wäre das ein unglaubliches Geschenk. Aber man darf sich auch nicht entmutigen lassen, wenn es noch nicht so gut wie erhofft beim Zuschauer ankommt.“

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