: Bühnenbilder für die Augen
Fadenheftung Einladung, Frank Kafka noch einmal zu sehen: Kat Menschik illustriert die Erzählungen des Bandes „Ein Landarzt“ nach dem Erstdruck von 1920
von Dirk Knipphals
Franz Kafkas Buch „Ein Landarzt“, ein Sammelband „Kleiner Erzählungen“, so der Untertitel, erschien noch zu seinen Lebzeiten 1920 und umfasst Texte, die dann so ehrfurchtgebietend berühmt geworden sind, dass man ihre Besonderheiten – ähnlich wie die der „Mona Lisa“ – gar nicht mehr recht wahrnimmt. Die Berliner Illustratorin Kat Menschik hat das Bändchen nun nach der Erstausgabe, wie eine Kostbarkeit gestaltet, neu herausgegeben. Fadenheftung, edles Papier. Vor allem aber hat Kat Menschik die Texte selbst sehr ernst genommen.
An der titelgebenden Erzählung „Ein Landarzt“ interessiert sie das albtraumhafte Setting. Das ist nun nicht überraschend. Aber sie setzt als Illustratorin besondere Akzente. Die Figur des Landarztes selbst lässt sie aus. Den jungen Patienten, die Pferde und vor allem die Maden, die der Arzt in der Wunde finden wird, fasst sie zu einem Blatt zusammen; der junge Patient erinnert an Kafka selbst.
Ein Frauenopfer
Ein zweites Blatt widmet sie Rosa, dem Dienstmädchen, das der Arzt, nachts im Schneetreiben zum Patienten gerufen, zu Hause in den Händen des brutalen Pferdeknechts zurücklässt. „Dieses Opfer ist zu groß“, heißt es in der Geschichte. Genau so, wie ein Frauenopfer, hat Menschik diese Rosa gezeichnet.
Gute Illustrationen sind nicht einfach nur Bebilderungen einer Geschichte, erst recht sind sie keineswegs bloß hübsche Verpackungen. Illustrationen wie die, für die die Illustrationskünstlerin Kat Menschik steht, sind eher Bühnenbilder, in deren Rahmen die Geschichte im Kopf des Lesers ablaufen kann. Vielleicht wäre es etwas zu stark formuliert, würde man sagen, diese Ausgabe schafft es, dass man Kafkas Erzählungen wie mit neuen Augen sieht. Aber jedenfalls schafft sie es, dass man noch einmal genau hinsieht.
Jede einzelne Geschichte illustriert Kat Menschik individuell, man bekommt einen guten Eindruck von den verschiedenen Stimmlagen dieser Texte. Die Bilder zu „Ein Brudermord“ riechen nach den engen Gassen Prags und nach Film noir. „Vor dem Gesetz“ hat Menschik dagegen fast abstrakt illustriert. Eine winzige Figur sitzt verloren in einem Ausschnitt labyrinthisch verschlungener Wege herum. Auch das ist keine spektakulär auftrumpfende Neudeutung, aber mindestens eine gute Einstimmung und eben eine gute Bühne (man fühlt sich an Andreas Kriegenburgs „Prozess“-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen 2008 erinnert). Lange nachdenken kann man auch über die bemalte (?), tätowierte (?) Hand, die Menschik neben die gerade mal acht Zeilen lange Erzählung „Das nächste Dorf“ gestellt hat.
Besonders toll sind die Bilder zur letzten Erzählung, „Bericht an eine Akademie“, ausgefallen. Zweimal zeigt Kat Menschik nur die Augen des Affen, der hier von seinem Gefangenwerden, seiner Dressur, seiner Suche nach einem Ausweg und seinem Entkommen ins Menschwerden erzählt. „… so hörte ich auf, Affe zu sein.“ Einmal ist er ganz verborgen hinter wuchernden Urwaldpflanzen, das zweite Mal in einen Verband verpackt wie eine Mumie. Erst ganz am Schluss sieht man den Schimpansen in seinem Varietékostüm traurig vor sich hin starren und seinen Finger verlegen ins Wasser halten. Man fühlt sich, sobald man das Buch in die Hand nimmt, gleich beschenkt. In derselben Ausstattung liegt, von Kat Menschik gestaltet, auch Shakespeares „Romeo und Julia“ vor.
Franz Kafka: „Ein Landarzt“. Gestaltet und illustriert von Kat Menschik. Galiani, Berlin 2016, 112 Seiten, 18 Euro
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