piwik no script img

Ein paar verdrängte Wahrheiten

Kino „Around the World in 14 Films“ bietet eine Nachlese aus den großen Festivals. Mit Filmen von Cristi Puiu, Lav Diaz oder Otar Iosseliani zeigen sie herausfordernde Filme, die Verleiher manchmal fürchten

Szene aus „Sieranevada (Romanian Night)“ von R. Cristi Puiu Foto: 2016 Mandragora-Produkcija 2006 Sarajevo

von Andreas Busche

Der internationale Filmfestivalbetrieb ist ein sich selbst erhaltendes System mit geringer Durchlässigkeit. Der Großteil der Filme, die in Cannes, Berlin, Venedig, Toronto, Busan oder auf kleineren Premierenfestivals wie in Locarno, San Sebastian oder Karlovy Vary laufen, führen innerhalb dieses Netzwerks ein Eigenleben. Viele von ihnen erleben noch nicht einmal in ihren Entstehungsländern einen Kinostart, wobei schon die Frage der Herkunft angesichts der heutigen Produktionsverhältnisse immer schwieriger zu beantworten ist.

Um diese Diskrepanz zu verstehen, reicht schon ein Blick in das Programm des Berliner Publikumsfestivals „Around the World in 14 Films“, das ab morgen in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg stattfindet. Der türkische Beitrag „Fren­zy“ von Emin Alper etwa, einer der stärksten Filme in diesem Jahr, ist eine Koproduktion zwischen der Türkei, Katar und Frankreich, französisches Geld steckt auch in Cristi Puius bravourös doppelbödiger Familienkomödie „Sieranevada“.

Freuen darf man sich immerhin, dass Lav Diaz für „The Woman Who Left“ endlich auch mal einen philippinischen Geldgeber fand und Kelly Reichardt, die interessanteste Independentfilmerin im US-Kino, für ihren Episodenfilm „Certain Women“ (mit Laura Dern, Michelle Williams und Kristen Stewart, eine Traumbesetzung) diesmal nicht auf brasilianisches Geld angewiesen war.

Es handelt sich bei diesen Beobachtungen um keinen nationalkinematografischen Chauvinismus, die wackligen Finanzierungsmodelle und Produktionsallianzen zeigen vielmehr, wie prekär die Arbeitsbedingungen für Filmemacher/innen im gegenwärtigen Weltkino sind. Insofern wirkt die Idee von „Around the World in 14 Films“ (eine filmische Weltreise, sozusagen im Geiste von Jules Verne) fast ein wenig anachronistisch.

Hässliche Österreicherauf Großwildjagd

Natürlich haben die meisten der 23 Filme auch in diesem Jahr einen konkreten Länderbezug, der überwiegend sogar mit dem jeweiligen Produktionsland identisch ist – das gilt selbst für Ulrich Seidls Mondo-Dokumentarfilm „Safari“, der eine Gruppe hässlicher Österreicher auf der Großwildjagd in Afrika begleitet. Doch die globalen Produktionsbedingungen belegen, dass sich das Weltkino zunehmend zu einer Subsistenzwirtschaft wandelt.

Die Filme, die in Rahmen von „Around the World in 14 Films“ laufen, befinden sich bereits am Ende ihres Festivalzyklus: Sie haben bestenfalls einen deutschen Verleih gefunden oder ihnen droht das wahrscheinlichere Schicksal, bald wieder in Vergessenheit zu geraten.

Im diesjährigen Programm setzt sich allerdings ein Trend fort, der schon in den vergangenen Jahren zu beobachten war. Ursprünglich hatte sich „Around the World in 14 Films“ auf die Fahnen geschrieben, die besten Filme eines Festivaljahrgangs zu zeigen, bevor sie nach ihrer Laufzeit im Festivalbetrieb aus der Öffentlichkeit verschwinden. Die elfte Ausgabe erinnert dagegen an eine Promotion-Plattform für deutsche Filmverleiher im soliden Mittelbau der Branche. Filme wie Xavier Dolans enttäuschend konventionelles Kammermelodram „Einfach das Ende der Welt“, Asghar Farhadis theaterhaftes Ehedrama „The Salesman“, Olivier Assayas wunderbar in einen glamourösen Materialismus hineinlappende Geistergeschichte „Personal Shopper“ oder eben der Seidl-Film – um nur einige Titel zu nennen – haben bereits einen zeitnahen Kinostart.

Mit „Winter Song“ist ein leichtfüßiges Alterswerk von Otar Iosseliani zu sehen

An der Auswahl von „Around the World in 14 Films“ gibt es prinzipiell natürlich nichts auszusetzen. Es bleibt lediglich zu hoffen, dass das Programm auch den einen oder anderen Verleiher dazu inspiriert, sich einem der „Filmwaisen“ anzunehmen. Allemal verdient hätte es „Sieranevada“ von Cristi Puiu, der mit einer virtuos kreisenden Kamera und sardonischem Witz über fast drei Stunden die Beziehungen innerhalb einer Bukarester Mittelstandsfamilie während einer Totenfeier – die aber kaum in Gang kommt – seziert und dabei auch ein paar verdrängte Wahrheiten über die postkommunistische Gesellschaft offenlegt. Puiu erweist sich erneut als Meister subtiler Verschiebungen (im Tonfall, zwischen seinen Figuren), versteht es aber auch klug, filmische Räume zu etablieren.

Die schiere Länge isteine Herausforderung

Die Filme von Lav Diaz dagegen stellen potenzielle Verleiher schon wegen ihrer schieren Länge vor eine Herausforderung. Dennoch ist das Rachedrama „The Woman Who Left“ über eine Frau, die dreißig Jahre unschuldig im Gefängnis saß, mit einer Länge von vier Stunden Diaz’ bislang zugänglichster Film. Viele Gelegenheiten, den Preisträger des Goldenen Löwen 2016 im deutschen Kino zu sehen, dürfte es dennoch nicht geben.

Das gilt ebenso für Otar Iosseliani, der sich schon vor Jahren heimlich aus den deutschen Kinos verabschiedete und mit „Winter Song“, einer Schelmenkomödie mit deutlichen Anleihen bei Jacques Tati, ein leichtfüßiges und trotz allem würdiges Alterswerk abliefert. „Around the World in 14 Films“ zeigt den Film als Hommage an den inzwischen 82-Jährigen – eine feine Geste, die den Veranstaltern ein paar zusätzliche Sympathiepunkte einbringt. Die Filme des georgischen Regisseurs werden übrigens – um auf die globalen Produktionsverhältnisse zurückzukommen – seit über 30 Jahren in Frankreich produziert.

25. November bis 4. Dezember, Kino in der Kulturbrauerei, www.14films.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen