: Die Bilder entvölkern
Ausstellung Man kennt ihn als Musiker und Theoretiker, als Künstler kaum: Mayo Thompson zeigt in der Berliner Galerie Buchholz Zeichnungen und Papierarbeiten
VON Beate Scheder
Bevor Donald Trump Anfang der Achtziger an der New Yorker Fifth Avenue seinen Trump Tower errichten konnte, musste er erst ein Gebäude abreißen lassen: das Bonwit-Teller-Kaufhaus, entworfen 1929. Zunächst hatte Trump zugesagt, die wertvollen Art-déco-Reliefs der Fassade – zwei Frauen, die mit einem Schleier tanzen – vorsichtig zu entfernen und dem Metropolitan Museum of Art zu vermachen. Sein Versprechen hielt er jedoch nicht. Die Kunstwerke wurden zerstört. Zu teuer und aufwändig wäre es gewesen, sie herauszutrennen, behauptete Trump. Fast vergessen ist dieser Skandal. Mayo Thompson erzählt von ihm in der Berliner Galerie Buchholz, wo heute seine Einzelausstellung eröffnet. Den beiden Art-déco-Figuren hat er darin einen besonderen Platz zugewiesen. Die Zeichnungen, die er von ihnen angefertigt hat, befinden sich gleich im ersten Raum. Wie eine späte Warnung wirken sie, wenige Tage nach der US-Wahl. Thompson bezeichnet sie als politische Cartoons.
Der Renaissanceman
Dass diese nun so aktuell sind, damit hatte er nicht gerechnet. „Kannst du glauben, was passiert ist?“, fragt er. Als politischen Menschen, als Kritiker und Theoretiker, vor allem aber als Musiker kennt man Mayo Thompson, als bildenden Künstler hingegen kaum. Thompson, geboren 1944 in Houston, hat 1966 gemeinsam mit Frederick Barthelme und Steve Cunningham die legendäre Avantgardeband Red Krayola gegründet. Das Projekt besteht – in veränderten Konstellationen, etwa mit dem Maler Albert Oehlen – noch heute. Thompson hat in der Zwischenzeit aber einiges mehr gemacht: Ende der Sechziger war er Assistent von Robert Rauschenberg, hat über Kunst geschrieben, später auch Musik produziert und seit den siebziger Jahren mit der Konzeptkünstlergruppe Art & Language zusammengearbeitet.
Kunstaffin war er stets, genau wie sein Umfeld. Sich als bildender Künstler gesehen, hatte er lange nicht, obwohl er, ganz „Renaissanceman“, immer gezeichnet hat. In den Siebzigern zum Beispiel die schwarz-weißen Illustrationen für das Buch „Rangoon“, ein Gemeinschaftsprojekt mit Red-Krayola-Kollege und Schriftsteller Frederick Barthelme. Dass diese nun unter anderem bei Buchholz zu sehen sind, liegt auch an der Whitney Biennale von 2012. Thompson hatte mit Red Krayola daran teilgenommen. Per Skype hatte die Band mit Besuchern der Ausstellung kommuniziert, als permanente Installation. Thompson erzählt davon wie von einem Wendepunkt. Als die New Yorker Galerie Greene Naftali danach eine Einzelausstellung anregte, sagte er zu. 2015 zeigte er dort neue Papierarbeiten, Zeichnungen von bunten Hibiskusblüten, comichafte Schwarz-Weiß-Zeichnungen aus den Siebzigern und kleine bronzene Skulpturen.
Die Berliner Ausstellung knüpft daran an. Kennt man Thompsons Musik, wirken seine Zeichnungen zunächst fast harmlos. Unter den neuen, eigens für die Ausstellung entstandenen, ist eine ganze Reihe, in denen Thompson von berühmten Gemälden Courbets oder Fra Angelicos den Hintergrund abgemalt, die Figuren jedoch entfernt hat. Die dramatischen Szenen sind verschwunden, die Jungfrau Maria von Fra Angelicos „Visitation“ genau wie Gustave Courbets „Sculpteur“ vor der steinigen Landschaft. Dass Thompson ein Connaisseur der Kunstgeschichte ist, zeigt sich spätestens hier. „Aggressiv“ nennt er den Akt, mit dem er die Bilder entvölkert. Ansonsten interessiere ihn, was Besucher in seinen Bildern sehen. Bei manchen wisse er gar nicht genau, was darauf sei, sagt er und zeigt auf Bleistiftzeichnungen. Einfacher ist das vermeintlich bei denen, die ihnen gegenüber hängen, die vielleicht erstaunlichsten Arbeiten der Ausstellung. Jede von ihnen zeigt einen Vogel, einen Fasan, einen Storch, Singvögel.
Weg von Strommasten
Als junger Mann habe er sie allesamt geschossen, erzählt Thompson, sein Job sei es gewesen, Vögel von Strommasten fernzuhalten. Nun verfolgten sie ihn. Er grinst, als er davon erzählt. Die Vögel sind die tierischen Pendants zu den Hibiskusblüten aus der New Yorker Ausstellung. Bunte Blumen, hübsche Vögel – Thompson spielt mit Gefälligkeit und Oberfläche. Unterhalten wolle er, sagt Thompson. So hält er es denn auch am heutigen Eröffnungsabend: Eine kleine Bühne ist in der Galerie aufgebaut. Dort wird die Künstlerin Josephine Pryde eine Arie aus der Oper „Victorine“ singen, an der Thompson in den Achtzigern gemeinsam mit Art & Language arbeitete.
Mayo Thompson: „?“, Galerie Buchholz, Fasanenstr. 30, Berlin. Bis 23. 12. Heute Performance von Josephine Pryde 20 Uhr
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