Die Mix-Psychologin

My House Is Your House – Labels in Berlin (II): Auf Gold & Liebe produziert und veröffentlicht Miss Yetti Techno für Eingeweihte und Oldschool-Puristen

VON THOMAS WINKLER

Plattenfirma, das klingt so mondän. Nach CEOs und Managern, nach A&R und Talentscouts, Bürofluchten und Praktikanten. Ihre Plattenfirma in der Berliner Mitte. Allerdings da, wo Mitte lang nicht mehr so mittig ist, in einem halben Zimmer in einem Gemeinschaftsbüro in einer schmucklosen Mietskaserne. Noch nicht einmal einen Praktikanten hat Henrietta Schermall sich bislang geleistet. Es geht auch ohne. Vorausgesetzt, man macht eine Menge selbst. Fast alles, um genau zu sein.

Henrietta Schermall hat trotz ihrer erst 33 Jahre schon jede denkbare Profession im Musikgeschäft bekleidet: In Personalunion ist sie Besitzerin, Geschäftsführerin und Produktmanagerin ihres Labels Gold & Liebe. Dass sie nebenbei als Miss Yetti Wochenende für Wochenende zum Auflegen um die Welt jettet, ist Berufung und Leidenschaft, aber auch Notwendigkeit: „Ich kann mich nicht beschweren, das Label läuft echt gut. Wenn ich plus minus null rauskomme, dann ist alles in Ordnung. Leben tu ich eh vom Deejayen.“

Als DJ hat sie auf Gold & Liebe gerade die für das Label-Programm repräsentative Mix-CD „Gold & Liebe“ herausgebracht. Tracks von Neolectric, Bobby R., Ricardo Villalobos oder Thomas Biebl hat sie mit eigenen Stücken zu einem runden Set kombiniert – auf die altmodische Art, denn „alle mixen nur noch am Computer, das nervt mich, weil etwas ganz Essenzielles verloren geht“.

Während immer mehr Kollegen vom Laptop aus den Tanzboden beschallen, schwört Miss Yetti auf die gute alte Plattenkiste und schleppt jedes Wochenende mindestens 20 Kilo Gepäck quer durch die Welt. Auch die Veröffentlichungspolitik von Gold & Liebe sieht sie selbst als eher „oldschoolig“: Man bedient DJs, vornehmlich mit Maxi-Singles und Remixen auf Vinyl. Nur die wenigsten der bislang 19 Veröffentlichungen sind als Alben und auf CD erschienen.

Gegründet hat sie das Label, um sich „einen eigenen Kanal zu schaffen“, um veröffentlichen zu können, was und wie sie will. Dabei würde sie nie einem Künstler in seine Tracks reinreden, sondern immer einfach die Musik aussuchen, die zu Gold & Liebe passt. Es geht ihr um „experimentellen Freiraum“, aber „trotzdem kommt natürlich meine musikalische Sozialisation zum Ausdruck“. Die fand statt mit Depeche Mode und Front 242.

Nun wird man heutzutage wohl nicht mehr allzu viele Dance-Labels finden, die sich noch so strikt an einen nachgerade klassischen Kanon halten. Einerseits. Andererseits freut es Yetti, dass sich allgemein Genre-Grenzen auflösen zwischen elektronischer Musik, HipHop und Rock, denn „viele Musiker denken ziemlich konservativ und begrenzt. Offenheit und Toleranz sind teilweise verloren gegangen.“ Das nennt man dann wohl gelebte Dialektik.

Auch sonst lebt Miss Yetti alltägliche Widersprüche. Erst vor kurzem beschloss sie einen Sonntag mit einem Clubgig, das zugehörige Wochenende allerdings hatte sie bei einer Fortbildung in neurolinguistischer Programmierung zugebracht. Als „weitere, große Leidenschaft“ hat die gebürtige Hamburgerin ein Psychologie-Studium abgeschlossen. Nach ihrem Diplom vor drei Jahren entwickelte sie ein Modell, um Schnittpunkte zwischen Musik und Psychologie herauszuarbeiten, demnächst möchte sie als psychologischer Coach Musiker betreuen. Ein Jahr lang schrieb sie im Magazin Raveline eine Kolumne: Als Sorgentante für Tanzboden-Probleme beantwortete sie Leseranfragen „mit einem Augenzwinkern“.

Gerne würde sie mit Musik „auch politische Inhalte transportieren“. Ihr nächstes Künstler-Album mit eigenen Stücken, der Nachfolger des für seinen düsteren Sound gelobten Albums „Out of Control“ von 2003, soll im kommenden Jahr erscheinen und diese Ansprüche einlösen. Mehr mag sie nicht verraten, nur so viel: „Vielleicht geht es um Frauen.“ Die sind im DJ-Gewerbe mittlerweile keine Seltenheit mehr. Das war noch anders, als Henrietta in den frühen 90er-Jahren begann in Köln aufzulegen: „Alle Fehler wurden doppelt gewichtet, Frauen mussten einfach besser sein als Männer.“

Das war spätestens geschafft, als sie ihre Residency im Kölner Ufo-Club bekam. 1999 kürte Raveline sie gar zum „Best Female DJ“. Seitdem ist vieles selbstverständlicher geworden, aber „auch in dieser Branche gibt es natürlich noch Sexismus“. Wenn Miss Yetti in Südamerika auflegt oder etwa in Bosnien, „sind die Leute noch heute erstaunt, dass eine Frau hinter den Turntables steht“. Aber das ist auszuhalten, solange man seiner Leidenschaft nachgehen darf. Und natürlich lebt sie, wie jeder erfolgreiche DJ, nicht zuletzt von den lukrativen Reisen in die Party-Hochburgen des eher konservativen Südeuropas. Irgendwie muss das Label ja finanziert werden, so wenig mondän es auch sein mag.

Miss Yetti: Gold & Liebe (Gold & Liebe/ Neuton); Record Release Party morgen im Deep