: Schon beim ersten Versuch gestolpert
Renato Palumbo wird Chefdirigent der Deutschen Oper. Kultursenator Flierl bezeichnet den 42-jährigen Italiener als Neuerer. Der Fachwelt ist diese Einstufung ein Rätsel. Denn als Palumbo letzten Herbst Puccini dirigierte, war die Kritik entsetzt
von Niklaus Hablützel
Ausgerechnet dieser Mann also soll aus der Krise hinausführen, in der die Deutsche Oper an der Bismarckstraße nun schon seit mehr als einem Jahr unüberhörbar steckt. Mutig begrüßte ihn gestern Kultursenator Thomas Flierl als einen Dirigenten, der für den „Anspruch“ stehe, „künstlerisches Neuland betreten zu wollen“. Was den Politiker der Linkspartei zu dieser Ansicht gebracht hat, ist freilich ein Rätsel. Als Neuerer ist der Italiener Renato Palumbo (42) gewiss nicht in Erscheinung getreten. Schon mit 19 hat er Verdi dirigiert. Seither pflegt er das klassische und romantische Opernrepertoire von Joseph Haydn bis Carl Orff fleißig in aller Welt, auch mal als Gast der Wiener Staatsoper, zuletzt als Chefdirigent der Oper von Kapstadt.
Dass Palumbo nun gerade an Berlins größtem Opernhaus seine bisher gut verheimlichte Liebe zu ästhetischen Experimenten und Wagnissen enthüllen könnte, wäre eine Überraschung. Was von ihm hier zuletzt zu hören war, lässt vielmehr Schlimmes befürchten. Als Puccinis Oper „Manon Lescaut“ unter seiner Leitung im letzten Winter Premiere hatten, mochten nur eingefleischte Freunde der Bismarckoper ein wenig Beifall klatschen. Alle andern, allen voran die Fachleute der Presse, waren entsetzt. So abgrundtief schlecht hatte das Orchester schon lange nicht mehr gespielt. Eine einfallslose Regie und fehlbesetzte Solisten gaben der Aufführung den Rest. Deutlicher als mit diesem Fehlschlag war nicht zu beweisen, wie sehr der Deutschen Oper das künstlerische Profil abhanden gekommen war, das ihr einst weit über Berlin hinaus einen guten Ruf eingetragen hat.
Vielleicht war es schon 1997 keine besonders gute Idee gewesen, den im persönlichen Umgang notorisch schwierigen und überaus konservativen, ästhetischen Vorstellungen anhängenden Christian Thielemann zum Chefdirigenten zu ernennen. Schier endlose Streitereien mit dem Intendanten Götz Friedrich und erst recht mit seinem Nachfolger Udo Zimmermann waren die Folge. 2003 kündigte Thielemann seinen Vertrag vorzeitig und hinterließ ein Trümmerfeld hochfliegender Pläne. Der gesamte Puccini zum Beispiel sollte im spätromantischen Originalklang, von allen, in Thielemanns Ohren bloß modischen, Erneuerungen befreiten Aufführungen herausgebracht werden.
Palumbo blieb es mit seiner „Manon Lescaut“ überlassen, das ohnehin wenig einleuchtende Konzept der Restauration großer Tradition in Grund und Boden zu dirigieren. Was unter Thielemanns Leitung immerhin als diskussionswürdige Alternative zum Zeitgeist daherkam, klang bei ihm nur noch nach Repertoireschmiere. Mag sein, dass Palumbo bloß einen schlechten Tag hatte und über die Schwierigkeiten gestolpert ist, in die Fußstapfen eines anderen treten zu müssen. Er jedenfalls macht tapfer weiter mit Puccini und probt zur Zeit die Oper „Le Villi“, ein Jugendwerk, von dem der Komponist später selbst nicht mehr allzu viel hielt. Deswegen wird es kaum je aufgeführt. Auch die Deutsche Oper bringt es lediglich in einer so genannten konzertanten Aufführung ohne Bühnenbild und Regie heraus. Die Premiere am 12. Oktober wird zweifellos eine Aufführung am Rande des üblichen Repertoires, aber wohl kaum ein Aufbruch in künstlerisches Neuland.
Zu befürchten ist eher, dass die Wahl Palumbos ein Zeichen dafür ist, dass weder die Intendantin noch die von der amtierenden Kulturstaatssekretärin der Stadt aufgezwungene Opernstiftung oder gar der Kultursenator wissen, was sie mit der Bürgeroper im Westen anfangen sollen. Die beiden Häuser im Osten entwickeln mit wachsendem Erfolg ihr je eigenes Profil, an der Bismarckstraße ist davon nichts zu sehen. An Plänen des neuen Chefdirigenten ist bisher nur eine weitere konzertante Aufführung einer Verdi-Oper bekannt. Zudem will er die Oper „Germania“ des heute weitgehend vergessenen Italieners Alberto Franchetti dirigieren. Dem sei es nie gelungen, über Wagner hinauszukommen, urteilt die Musikwissenschaft heute.
Auch das nährt den Verdacht, dass auf dem Wege der künstlerischen Ausdünnung das Problem der viel zu teuren drei Berliner Opern einer Lösung näher gebracht werden soll. Immerhin muss die Bühnenmaschinerie der Staatsoper dringend generalüberholt werden. Während dieser Zeit, so eine Idee, die immer mal wieder auftaucht, könnte die inzwischen relativ profitabel ausgelastete Staatsoper an der Bismarckstraße gastieren: Dort passen mehr zahlende Zuschauer in den Saal, die Technik und die Akustik sind überdies weit besser als Unter den Linden.