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Befreiungvom Klischee

PERFORMANCE Die Hamburger Gruppe „Frauen und Fiktion“ setzt sich theoretisch und theatral mit Entwürfen von Frau-Sein auseinander. Diesmal geht es im Lichthof-Theater um die weibliche Lust

Mit lustvollem Lachen begehrt „Lust“ gegen die Festschreibung weiblichen Begehrens auf Foto: Paula Reissig

von Katrin Ullmann

Zuständig ist sie im Olymp für die Fruchtbarkeit der Erde, des Getreides und der Saat und für die Jahreszeiten: die Göttin Demeter, Schwester und Geliebte des Zeus, mit dem sie eine gemeinsame Tochter hatte – Persephone. Einst trauerte sie, so erzählt es die griechische Mythologie, um ihre Tochter, denn die war von Hades geraubt und in die Unterwelt entführt worden. So traurig war Demeter darüber, dass sie den Pflanzen verbot, zu wachsen, den Bäumen, Früchte zu tragen, und den Tieren, sich zu vermehren.

Aber dann traf sie die alte Frau Baubo, die Mutter des Humors, des unbändigen Gelächters und der ordinären Witze. Und die versuchte mit allen Mitteln, die deprimierte Göttin aufzuheitern. Dies gelang ihr schließlich, indem sie Demeter mit ihren nackten wackelnden Brüsten und ihrer grinsenden Vulva zum Lachen brachte. Anschließend überzeugten sie Hades, Persephone freizulassen.

Der Mythos vom Raub der Persephone ist einer der Ausgangspunkte der aktuellen Arbeit der freien Hamburger Performancegruppe „Frauen und Fiktion“, die dieses Wochenende im Lichthof-Theater uraufgeführt wird. Seit zwei Jahren erprobt die Gruppe alternative Entwürfe von Frau-Sein an der Schnittstelle von Theorie und Theater. „Fiktion“ hieß ihre erste Performance, in der sich die Szenografin und Regisseurin Anja Kerschkewicz, die Theaterwissenschaftlerin und Schauspielerin Eva Kessler, die Tänzerin und Choreografin Patricia Carolin Mai sowie die Kostümbildnerin Felina Levits 2014 spielerisch mit literarischen Frauenbildern und gängigen Rollenklischees auseinandersetzten.

„Lust“ heißt nun schlicht und unmissverständlich die zweite Performance, die die weibliche Lust, den gesellschaftlichen Umgang mit ihr und die darin vorherrschenden Muster und Stereotype zum Thema macht. Die Geschichte um Demeter und Baubo übersetzt Tänzerin Mai dabei zunächst in ein Solo, die Schauspielerin Eva Kessler bringt dazu ähnliche stigmatisierende Rollenzuweisungen auf die Bühne. Um anschließend ihre Rollen, ihre Darstellung von Weiblichkeit und Geschlecht, von Lust und Lustmachen kritisch zu befragen.

Im Verlauf des Abends werden diese Ausgangspunkte dann angereichert und konterkariert mit eigenen Erfahrungen, Erzählungen und sexuellen Biografien Dritter, mit Klischeebildern aus Pornofilmen und erregenden Begegnungen mit Duschköpfen oder Fahrradsätteln. Immer steht für die vier Frauen dabei die Frage im Raum: „Wie würde ein befreiter Körper, wie würde Lust ohne Moralvorstellung aussehen? Gibt es eine ursprüngliche Lust zu entdecken?“

Man mag an die „Vagina Monologe“ denken, die die New Yorker Autorin Eve Enssler aus Interviews zusammenstellte und Ende der 1990er-Jahre zur Aufführung brachte. Doch von dieser Art „anthropologischer Untersuchung“, die nicht nur erotische Fantasien und Leidenschaften, sondern auch Missbrauch und Gewalt mit einschließt, nehmen Kerschkewicz und Kessler bewusst Abstand. Stattdessen soll der Abend aktuelle Diskurse einem größeren Publikum zugänglich machen und neue Perspektiven für eine Alltagspraxis anbieten.

Dark dirty talk

Was erst mal recht abstrakt daherkommt, ist sehr konkret gemeint. Statt theoretischer Trockenübungen gibt’s „dark dirty talk“, eine lange Liste von Lustworten, eine Sammlung sexueller Identitäten, einen Bildband bedeutender Orgasmen oder Perlen perverser Sexfantasien, verspricht die Ankündigung.

Statt etwasanzuklagen, gehtes um Erzählweisen abseits gängiger Frauenrollen

Das habe ganz unterschiedliche Reaktionen ausgelöst, erzählt Anja Kerschkewicz lachend. Ob sich Männer den Abend auch ansehen dürfen, sei nur eine davon gewesen. „Es ist überhaupt nicht so, dass wir uns auf eine Seite stellen“, sagt die Regisseurin. „Uns geht es nicht um die Minderheit oder um die Nische. Und es geht nicht darum, etwas für die Nische zu produzieren.“

Statt etwas anzuklagen oder sich zu beschweren, sei die Frage, wie man andere Erzählweisen abseits der gängigen Frauenrollen und Muster erfinden könne. Ein Umdenken also: „Wie fühlt es sich an“, führt Kerschkewicz aus, „wenn wir den Begriff Cir­klusion, also Umschließen, mal als Alternative zur Penetration, also Eindringen, verwenden?“ Dabei gehe es nicht nur darum, ein neues Wort auszuprobieren, sondern einen neuen Gedanken. „Das ist nicht nur für Frauen interessant“, ist Kerschkewicz überzeugt.

Nach dem Ende der Performance geht’s also im besten Fall erst los: Wenn es gut läuft, kommen die Zuschauer ins Gespräch und tauschen sich aus. „Unsere Arbeit ist keine aktionistische Arbeit“, sagt Kerschkewicz, „aber sie birgt schon den Ansatz, neben einem Kunstprojekt auch eine Diskussion anzuregen. Wir verstehen uns als Öffnerinnen für einen Raum, in dem die Zuschauer Platz für eigene Gedanken haben.“

Im Fall von „Lust“ begeben sich die vier Theatermacherinnen zwar in einen stark tabuisierten Raum, aber ihr Türöffner ist ja auch stark: das Baubo-Prinzip eben – mit viel Humor, unbändigem Gelächter und herrlich ordinären Witzen.

Sa, 19. 11., und So, 20. 11., 20.15 Uhr, Lichthof-Theater

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