Frankreich Tausende Flüchtlinge morgens aus improvisierten Zeltlagern verjagt: Polizei räumt den Pariser „Dschungel“
Paris taz | Es war noch finster und kalt, als am Freitag um sechs Uhr ein enormes Polizeiaufgebot von 600 Beamten an der Metrostation Stalingrad im Norden von Paris die Zelte von Tausenden Flüchtlingen und Migranten umzingelten. Diese wurden gruppenweise in Busse gebracht, die sie angeblich in Aufnahmezentren bringen sollten, wo sie laut offizieller Darstellung die Möglichkeit hätten, ein Asylgesuch einzureichen.
In der Eile konnten viele vor dieser brüsk organisierten Abreise nur das Allernötigste zusammenraffen. Wenig später wurden ihre Zelte, Decken und anderen zurückgelassenen Habseligkeiten eingesammelt und in große Müllcontainer geworfen. Wie bei der Räumung des „Dschungels“ in Calais sollen auch in Paris nach der Evakuierung alle Spuren verschwinden.
In einer ersten Phase wurden mehrere Hundert Flüchtlinge vom Quai de Jemmapes weggebracht. Wohin, wurde nicht verraten. Die restlichen, ein paar Schritte entfernt in der Mitte der Avenue de Flandre, wussten, dass sie nur eine kurze Gnadenfrist hatten. Gegen Mittag erklärten die Behörden die „humanitäre Evakuierung“ von insgesamt 3.800 Menschen für abgeschlossen. Sie hatten zuvor Migranten auch aus besetzten Schulen, Kirchen oder Abbruchgebäuden vertrieben.
Aber am selben Ort im Norden von Paris hatte die Polizei bereits am 26. Juli und am 16. September in ebenso großangelegten Aktionen mehr als 2.000 Flüchtlinge weggebracht und ihre behelfsmäßigen Unterkünfte weggeräumt. Das hatte sie oder Neuankommende nicht daran gehindert, erneut dort zu campieren.
Zudem war ein Teil der früheren Bewohner des „Dschungels“ in Calais jetzt auf Paris ausgewichen, um von dort die immer schwierigere Reise nach England zu organisieren. Das bleibt das Ziel der Mehrheit dieser vor allem aus Afghanistan, Sudan, Äthiopien, Eritrea und Somalia kommenden Menschen. Noch am Mittwoch hatten mehrere Hundert Personen für eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge demonstriert.
Rudolf Balmer
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