: Alle arbeiten ehrenamtlich
kunst Der „Berlin Art Prize“ ist eine Momentaufnahme der in Berlin entstehenden Kunst: Die neun Nominierten zeigen ihre Arbeiten im Kühlhaus
von Beate Scheder
Neben dem Eingang zur Ausstellung des „Berlin Art Prize“ hängt ein Poster der Künstlerin Stine Marie Jacobsen. „Ich arbeite nicht kostenlos, aber manchmal passiert es“ steht darauf. Der Satz, der aus Jacobsens Buch „German for Artists“ stammt, bringt die prekäre Situation vieler Künstler ironisch auf den Punkt. Kunst ist harte Arbeit und zahlt sich finanziell oft dennoch nicht aus. Bestens passt er auch zum Motto der vierten Ausgabe des Kunstpreises: „Hard Work | Work Hard“.
Der Berlin Art Prize ist nicht irgendein Kunstpreis. 2012 wurde er von den Künstlern Zoë Claire Miller und Ulrich Wulff sowie den Kunstkritikerinnen Alicia Reuter und Sophie Jung ins Leben gerufen. Mit viel Enthusiasmus und einem hehren Ziel: Einen alternativen, offenen und niedrigschwelligen Preis wollten sie schaffen, einen Preis, bei dem nur die künstlerische Position entscheidet und nicht Name oder Karriereweg des Künstlers, eine Graswurzel-Auszeichnung mit integrierter Systemkritik. Preise für Kunst gab es damals zwar bereits viele, doch waren diese in der Regel entweder an Institutionen geknüpft oder Marketinginstrumente von Unternehmen. Die brachten mehr oder weniger stets dieselben Namen aufs Parkett.
Der Berlin Art Prize finanziert sich ohne öffentliche Förderungen oder Firmensponsor – alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich – nur durch private Spenden und vor allem durch die Getränkeverkäufe. So gesehen ist es sehr sinnvoll, dass die Macher in diesem Jahr die Preisverleihung erst einen Monat nach der Eröffnung stattfinden lassen.
Sympathisch ist am Berlin Art Prize eben auch, dass er sich Jahr um Jahr weiterentwickelt. So fanden in diesem Jahr erstmals im Vorfeld Studio Visits statt, um die Arbeiten schon vor der Ausstellung nicht nur auf Abbildungen begutachten zu können. Weitgehend beibehalten wurde das anonymisierte Auswahlverfahren dennoch – bis zu den Atelierbesuchen. Über 600 Bewerbungen gingen in diesem Jahr ein, unter denen sich die Jury, bestehend aus den Künstlern Susanne M. Winterling, Ahmet Ögüt und Emeka Ogboh sowie den Kunstkritikern Kito Nedo und Karen Archey, zunächst auf neun für die engere Wahl einigte. Diese Reduktion tut der Ausstellung gut. Klarer treten die einzelnen Positionen hervor, geschärft erscheinen die Konturen der Momentaufnahme der künstlerischen Produktion Berlins, die der Berlin Art Prize eben auch ist.
Was zu sehen ist? Das Künstlerduo Aurora Sander präsentiert die „Fantastic Four“, eine Skulpturengruppe, die Fundstücke, Design- und Alltagsgegenstände ebenso wild miteinander kreuzt wie Anspielungen auf Kunst- und Konsumwelt. Ebenfalls mit Objekten beschäftigt sich Lindsay Lawson in ihren Skulpturen, genauer gesagt mit den mannigfaltigen, oft emotionalen Beziehungen zwischen jenen und den Menschen. Martin John Callanan benutzt Daten und Algorithmen für eigene Versuche, die globalisierte Welt zu vermessen.
Benedikt Partenheimer stellt seltsam schöne Fotografien der chinesischen „Airpocalypse“ einem Bericht zu globalen Klimaveränderungen gegenüber. Regina de Miguels filmischer Essay erzählt von Cybersyn, einem Vorläufer des Internets aus dem sozialistischen Chile. Stine Marie Jacobsen zeigt Ergebnisse von Workshops mit Willkommensklassen zu deutschen Gesetzestexten. Raul Walch schlägt Rescue-Kites als Alternative zu Rettungslichtern vor – auch sie sind Ergebnisse von Workshop mit geflüchteten Kindern. Lotte Meret persifliert per Video und Performance klischeehafte Körperbilder. Louryn Youdens Installationen sind Überbleibsel performativer Zeremonien von Heilungsritualen.
Am 10. Dezember wird drei von ihnen eine von Tomás Saraceno gestaltete Trophäen samt Preisgeld und eine Einladung zur Residency in Georgien verliehen. Gewonnen haben alle neun aber eigentlich schon jetzt, genau wie die freie Szene Berlins.
Kühlhaus Berlin, „Berlin Art Prize“, Luckenwalder Straße 3, Di.–Sa. 13–18 Uhr, bis 10. Dezember
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