piwik no script img

Die längsten fünf Sekunden der Welt

Spitzenkampf Der THW Kiel kämpft sich nach Sechs-Tore-Rückstand zurück und nimmt Flensburg-Handewitt die Tabellenführung ab. Die Flensburger lassen drei Chancen zum Ausgleich liegen

Die ersten 59 Minuten und 55 Sekunden des Nordderbys in der Handball-Bundesliga zwischen dem THW Kiel und der SG Flensburg-Handewitt hatten schon so viel geboten. Spannung, Dramatik, ein stetiges Auf und Ab für die Teams. Doch das Duell der alten Rivalen sollte in der Schlussphase noch einmal so auf die Spitze getrieben werden, so verdichtet werden, wie es nur ganz selten vorkommt. Diese Schlusssequenz der Partie wird eine Position von großem Erinnerungswert in der Derby-Historie einnehmen.

Beim Stand von 24:23 gelang es den Kielern bei eigenem Angriff nicht, die Partie zu entscheiden. Flensburg erhielt noch einmal den Ball. Fünf Sekunden noch. Über Linksaußen kam Kentin Mahé zum Wurf, doch der herausragende THW-Keeper Andreas Wolff wehrte ab. Der Ball flog zum Kreis, wo Lasse Svan zum Nachwurf ansetzte. Eine Sekunde noch. Der Däne warf, und Wolff parierte erneut.

Die Zuschauer kannten kein Halten mehr, schien doch der Sieg vollbracht zu sein. Doch die Schiedsrichter Andreas und Marcus Pritschow (Schwäbisch Gmünd) entschieden auf Foulspiel des Kielers Lukas Nilsson beim Wurfversuch von Svan. Die Zeit war längst abgelaufen, doch den Gästen bot sich bei einem Siebenmeter noch die Chance zum Ausgleich.

Linksaußen Anders Eggert nahm sich den Ball, täuschte dreimal an und setzte den Ball an den Innenpfosten. Die THW-Fans unter den 10.250 Zuschauern schrien auf vor Begeisterung, Eggert zog deprimiert das Trikot über das Gesicht.

Um ihn herum sprangen die THW-Spieler wild umher. Sie konnten es kaum fassen, dass sie diese Partie noch gedreht hatten. Nach 25 Minuten hatten sie mit 7:13 zurückgelegen. „Das sah nicht so großartig aus. Wir haben uns dann noch zusammengerissen, und sind bis zur Pause auf 11:14 herangekommen. Das hat uns Hoffnung gegeben“, sagte THW-Trainer Al­fred Gislason. „Wir haben letztlich sicherlich Glück gehabt, dass Flensburg am Ende nicht das Unentschieden geholt hat.“

Dank des Erfolgs sind die Kieler in der Tabelle am nördlichen Nachbarn vorbeigezogen. Der THW ist nun mit 20:2 Punkten neuer Spitzenreiter, dahinter folgen die Füchse Berlin und die Flensburger, die bei 18:2 Zählern mit einem Spiel im Rückstand sind und mit einem Sieg wieder Erster werden könnten.

Davon wollte THW-Kreisläufer Patrick Wiencek im Moment des Triumphes freilich nichts wissen. „Wir sind Derbysieger heute, darauf können wir stolz sein“, sagte er. „In der zweiten Halbzeit haben wir viel aggressiver in der Deckung gestanden.“

SG-Coach Ljubomir Vranjes trug die erste Niederlage im zehnten Ligaspiel mit Fassung. „Ich bin zwar traurig, dass wir keine zwei Punkte geholt haben. Aber wir wussten, dass es schwer wird“, sagte der Schwede. „Wir haben verloren, weil wir uns in der zweiten Halbzeit zu viele Ballverluste erlaubt haben. Am Ende haben wir einen Siebenmeter verworfen, aber so ist das im Handball. Wir müssen weitergehen.“ Mit Kiel gibt es schon bald zwei Wiedersehen: am 20. und 23. November in der Champions League. gör

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen