: Die Sängerin des Widerstands
CHILE Violeta Parra hat die überlieferten Lieder der armen Landbevölkerung gesammelt und die chilenische Volksmusik revolutioniert. Andrés Wood hat das Leben der politischen Künsterin verfilmt.
VON GASTON KIRSCHE
Von chilenischen Linken und Liedermachern in Lateinamerika wird sie bis heute verehrt, ihre Tochter Isabel leitet die nach dem Ende der Diktatur 1991 gegründete Stiftung Violeta Parra, ihr Sohn Ángel Parra hat eines von mehreren Büchern über sie geschrieben. Auf dieser Biografie des 1943 geborenen Sohnes basiert der gleichnamige Spielfilm, der letztes Jahr in Chile in die Kinos kam und jetzt unter dem Titel „Violeta Parra“ hierzulande. Der Film zeigt eindrucksvoll die Armut, in der sie lebte, ihr Aufbegehren, ihren Weg zur Musik.
Aufgewachsen ist sie mit sieben Geschwistern in Südchile als Tochter eines Dorfschullehrers und einer Näherin. Das Geld war knapp, oft gab es noch nicht einmal genug Brot, damit alle satt werden konnten, wie eine alte Nachbarin von damals in dem Dokfilm „Violeta chilensis“ erzählt, den Luis Vera 2008 für die Stiftung Violeta Parra gedreht hat. Sie ist in einer dieser Siedlungen mit barackenähnlichen Häusern aufgewachsen, wo die Straßen staubig sind und die Armut groß.
Der Vater spielte gerne und viel Gitarre, brachte Violeta mit neun Jahren das Spielen bei. Sie spielte sie Gitarre auf die Straße, in Bars, in Busse, zusammen mit ihren Geschwistern, um etwas Geld zu verdienen. Als sie 13 war, starb der schwerkranke Vater. Die Mutter konnte als Näherin nicht viel verdienen, als Geschwister Parra traten Violeta und ihre Schwester Hilda mit konventionellen Folkloreliedern auf.
Violeta Parra heiratete mit 21 den Eisenbahnarbeiter Luis Cereceda. Beide traten zusammen auf, wurden gemeinsam in der Kommunistischen Partei Chiles aktiv und unterstützten diese mit Wahlkampfauftritten. Es war die Zeit des ersten Volksfrontbündnisses in Chile, das 1946 zum zweiten Mal die Präsidentschaftswahlen gewann. Die Arbeiterbewegung war stark, aber der Machterhaltungswille der Bourgeoisie und Oligarchie stärker: 1948 wurde die KP verboten, erst neun Jahre später wieder legalisiert. Die starken sozialen Gegensätze hatten bereits während der Weltwirtschaftskrise 1932 zu einem Aufstand und der – niedergeschlagenen – Ausrufung einer „sozialistischen Republik“ geführt.
Gleichzeitig waren die Vorstellungen über die Geschlechterrollen noch sehr patriarchal. Violeta war zweifache Mutter, wollte aber nicht alleine den Haushalt führen. Sondern auch singen, komponieren. Die Ehe zerbrach, mit 32 heiratete sie erneut, bekam zwei weitere Kinder. Sie begann, mündlich überlieferte Lieder der Landbevölkerung zu sammeln, aufzunehmen.Violeta ging mit Aufnahmegerät und Notizheften über die Dörfer, ließ sich die Texte über den Alltag vorsingen. Von den Alten, die sonst im kleinen Kreis bei Nachbarschafts- oder Familienfeiern auftraten. Im Laufe der Jahre sammelte sie über 3.000 Lieder, auf deren Basis sie ihre ersten Schallplatten veröffentlichte.
Sie konnte im Radio auftreten, wurde bekannter. Als sie zu einem Liederfestival nach Warschau eingeladen wurde, nahm sie an. Sie fuhr alleine, nutzte die Gelegenheit, ein erstes Mal durch die Sowjetunion zu reisen und blieb anschließend lange in Paris. Dort erfuhr sie vom Tod ihrer jüngsten, zweijährigen Tochter Rosita Clara. Für Isabel und Ángel Parra muss es eine traumatische Erfahrung gewesen sein – der Vater bürdete ihnen in Abwesenheit von Violeta die ganze Verantwortung für die kleine Schwester auf, er musste selbst viel arbeiten. In dem Lied „Verso por una niña muerta“ wirft sie sich voller Schmerz und ohne Gnade sich selbst gegenüber den Tod ihrer jüngsten Tochter vor. Und arbeitet weiter. Sozialromantik liegt ihr fern, die einfache Nüchternheit ihrer Metaphern ist manchmal nur schwer auszuhalten.
Francisca Gavilán spielt Violeta Parra überzeugend, singt im Film selbst Lieder von Violeta Parra. Der Film ist sehr dicht, springt oft zwischen den Zeitebenen, stellt so Bezüge her, welche ihre Lebensbedingungen noch härter erscheinen lassen. Von dem - chilenischen - Regisseur Andrés Wood war bereits „Machuca!“ hierzulande im Kino – in dem drei Kinder in Chile den Aufbruch unter dem sozialistischen Präsidenten Allende und den Militärputsch, der diesem ein blutiges Ende bereitet, gemeinsam erleben.
Die Kinderperspektive, welche auch der neue Film von Andrés Wood einnimmt, auf das Leben und Handeln von Violeta Parra, verstärkt den Blick auf das alltägliche Leben: Unmittelbar wird es gezeigt, das Sich-behaupten-müssen, trotz Armut und Ignoranz um sie herum, das Ringen um die Lieder, die Befreiung aus Ausbeutung. So gelungen ihre soziale Lage gezeigt wird, so sehr fehlt der politische Hintergrund. Es ist, als ob der Film da stehenbleibt, wo die chilenische Linke sich heute sieht: als traditionell begründete, soziale Bewegung.