zwischen den rillen
: Alte Trommeln, neue Software

A Tribe Called Red: „We Are The Halluci Nation“ (Radicalized/Soulfood)

Ein Aufnäher ziert das Cover des Albums „We are the Halluci Nation“ von A Tribe Called Red. Fixpunkt ist der Planet Erde, getragen von einer Schildkröte und einem Adler. Beides Symbole für die Verbundenheit indigener Völker mit Himmel und Erde. Drumherum sind Trommelstöcke als First-Nations-Abzeichen angeordnet sowie der Schriftzug „The Great Seal Of the Halluci Nation. 500 Years And Still Drumming“.

Auch für den Dancesound von A Tribe Called Red, einem Trio aus der kanadischen Hauptstadt Ottawa, bilden Trommeln die Grundlage – neben wummernden Kompressionsbässen und Chören, deren Chanting den Native Americans zugeordnet werden kann. Denn im Sound der drei First-Nations-Kanadier DJ NDN, 2oolman und Bear Witness bilden autochthone Stammesgesänge im Mix mit Dubstep und Trap harmonische Imperative. Journalisten haben diese Mixtur Pow-Wow-Step getauft, als A-Tribe-Called-Reds-DJ-Clubabende über die lokale First-Nations-Gemeinde in Ottawa hinaus populär wurden. Und die Mischung aus amtlichen elektronischen Arrangements und Tribaldrums geht auch hervorragend auf – beide Stilrichtungen teilen sich das Schlagzeuggetriebene.

Bekannt wurden die drei Mitglieder des Cayuga- und Ojibwestamms einerseits 2014 durch den US-Produzenten DJ Diplo, auch Nominierungen für den kanadischen Polaris Music Prize haben geholfen. Auf ihrem vor Kurzem veröffentlichten dritten Album kollaborieren A Tribe Called Red nun mit unterschiedlichen Künstlern. Zu den Gästen zählen die Inuk-Kehlkopfsängerin Tanya Tagaq, die US-Rapper Saul Williams und Yasiin Bey, die kolumbianische Sängerin Lido Pimienta und indigene kanadische Künstler wie Black Bear und der Northern-Voice-Chor.

„Wenn First-Nations-Künstler bislang zeitgenössische Musik produziert haben, dann meist in den Folk-Genres wie Blues“, erläutern A Tribe Called Red. „Bis in die Sechziger war es uns gesetzlich untersagt, eigene Kultur auszuleben. Heute stellen wir unter Beweis, wie viel Spaß Musik mit autochthonen Wurzeln macht.“ Als Künstler mit diesem Ansatz betiteln sie sich selbst als „Halluci Nation“, sehen sich im Kontrast gegenüber der naturentfremdeten weißen Mehrheitsgesellschaft, der „Alie Nation“. Gerade aufgrund dieser problematischen Polarisierung pochen A Tribe Called Red auf Inklusion. „Wir holen die Leute von zwei Seiten ins Boot“, erklärt DJ NDN. „Wir machen die indigenen Communitys mit elektronischer Musik bekannt und nichtindigene Hörer mit Pow-Wow-Sound.“

Während die Musik also vor allem Tanzvergnügen bereitet, fokussieren die Texte auf die vorherrschende Marginalisierung indigener Völker, sprechen die Folgen der Segregation an und die zerrissenen Identitäten. Zugleich unterstreichen A Tribe Called Red in den Texten auch das wiedererstarkte Selbstbewusstsein einer jungen Generation von Native Americans, die sich über ihr kulturelles Erbe genauso definiert wie über Brostep-Hedonismus. Aus diesem Amalgam formen die drei DJs eigene, positive postkoloniale Narrative. Dabei benötigen Tanya Tagaqs Stimmbandüberdehnungen und die Native Tongue-Choräle von Northern Voice gar keine Weltsprache, sie transportieren A Tribe Called Reds Botschaft von Akzeptanz und Emanzipation ohnehin. Zusammen erschaffen sie energiegeladene Tanzmusik auf Basis indigener Rhythmussamples, die Zuschreibungen wie „Ethnopop“ oder „World Music“ überflüssig macht. Matthias Manthe