: Buntes Arbeiten in der Grauzone
Außenwerbung Plakatieren ohne Genehmigung ist ordnungswidrig, wird in Berlin aber weitestgehend geduldet. Und das Geschäft läuft. Unterwegs mit einem wilden Plakatkleber
Text und Fotos Daniel Kister
„Man sollte beim Kleben immer nach rechts und links schauen, dass da keine Ordnungsamtsmenschen sind“, erzählt Michael Z., der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Eben wegen der Ordnungsamtsmenschen. Am Hermannplatz in Neukölln haben sie ihn schon einmal erwischt und seine Arbeitsmaterialien beschlagnahmt: den Eimer voll Kleister, den er vor seinem Fahrradlenker transportiert. Selbst sein Dienstfahrrad samt der darauf befindlichen Plakate wurde ihm weggenommen. „Lassen Sie das“, erinnert sich Michael an die mahnenden Worte der Ordnungshüter*innen: „Sie haben das gesagt, als wäre ich ein Verbrecher!“
Dabei macht Michael nur seine Arbeit. Einen Job in einer rechtlichen Grauzone allerdings. Er klebt Werbeplakate an Stromkästen, an Laternen und auf bereits beklebte Wände, ohne dafür eine Genehmigung zu haben. So ein wildes oder freies Plakatieren stellt zwar eine Ordnungswidrigkeit dar, wird in Berlin aber weitestgehend geduldet.
Obwohl die Firma, bei der Michael angestellt ist, die „freie Plakatierung“ pro Din-A2-Plakat auf ihrer Webseite für 35 Cent anbietet, will auch der Inhaber weder seinen eigenen noch den Firmennamen publiziert wissen.
Einst eher privat betrieben, gibt es in Berlin mittlerweile eine Handvoll Firmen und einige Selbstständige, die wilde Plakatierung als Dienstleistung anbieten. Längst sind es nicht mehr nur die finanzschwächeren Auftraggeber, die hier ihre Werbechance wittern. Auch namhafte Firmen buchen die vergleichsweise günstige, aber umso angesagtere Plakatierung jenseits des Erlaubten. Seit ein paar Jahren gehören auch Start-ups zur Kundschaft von Michaels Chef.
Wildplakatierer Michael
Auch wenn die Stadtpolitiker*innen im vergangenen Jahr ein konsequenteres Durchgreifen diskutiert haben, glaubt er, dass sie für den „Mehrwert“ der wilden Plakate durchaus sensibilisiert sind: „Wenn keine Plakate kleben, verliert Berlin sein Gesicht.“ Sein Plakatierer auf der Straße sieht das ähnlich: „An den dick beschichteten Laternen erkennt man doch, was hier abgeht.“
Michael ist erst seit Kurzem als wilder Plakatkleber unterwegs. Das sei zwar „kein Ponyhofjob“, aber allemal besser als in der Gastronomie, wo er vorher gearbeitet hat. Während er sich in der Gaststätte zumindest indirekt für die Tötung von zum Verzehr gezüchteten Tieren mitverantwortlich sah, hat er beim wilden Kleben deutlich weniger moralische Bedenken: „Karma-mäßig unterstütze ich nur irgendwelche Kulturevents. Außerdem ist für mich als Musiker das Line-up der Partys und Festivals interessant.“
Auf seinen Touren ist Michael bis zu zehn Stunden in der Stadt unterwegs – vor allem an den Hotspots in Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und neuerdings auch in Neukölln. Pro Stunde klebt er zwischen 70 und 100 Plakate: „Wenn es große Flächen zu bekleben gilt, kann man die Zahl hochpeppen“, erzählt er und freut sich, dass auch das Fahrrad dann deutlich leichter wird.
„Es ist ein bisschen wie in einem Computerspiel, wo man alle Felder bekleben muss“, beschreibt er dagegen seine Arbeit in der Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg, wo er mit seinem Fahrrad immer wieder an bereits plakatierten Stromkästen und Laternen am Straßenrand anhält, um diese mit Plakaten zu überkleben. Dabei überklebt Michael nicht alle Plakate. Eigene Motive und solche, die von Kolleg*innen stammen, lässt er sichtbar stehen. „Vor manchen Plakaten habe ich schon Respekt“, betont er auch mit Blick auf die Inhalte.
Schneller Motivwechsel
Zur Dokumentation für den Auftraggeber müssen alle geklebten Plakate fotografiert werden. Denn die „wild“ geklebten Plakate selbst verschwinden oft schnell unter neuen Plakaten: „Auf der Warschauer Brücke kann man beobachten, wie sich im Halbstundentakt die Motive ändern.“ Die eigenen Plakat sind oft so schnell überklebt, dass „wir unsere Mitarbeiter eigentlich täglich in dieselbe Straße schicken könnten“, sagt Michaels Kollegin. Allerdings seien an diesen Orten auch Tausende Menschen unterwegs, gibt ihr Chef zu bedenken: „Dann haben es auch genug gesehen.“
Die Geldstrafe von 225 Euro, die die Ordnungshüter*innen am Hermannplatz aussprachen, musste der Wildplakatierer Michael übrigens nicht selbst zahlen. Dieses Risiko wird an den Auftraggeber ausgelagert. Gelegentlich wird der relativ hohe Karma-Faktor seiner Arbeit aber dennoch empfindlich gestört: „Einmal musste ich Mario Barth kleben. Da habe ich mich echt schlecht gefühlt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen