piwik no script img

Begeisterte Hierarchen

FERNSEHEN Was das Konzept des Tatort mit den ARD-Finanzen zu tun hat, warum einer seiner Väter sich immer noch über diese Rolle wundert – und wie die heute „so immer schon dagewesen“ wirkende Reihe durchaus holprig ihren Anfang nahm

Als klar war, dass der Tatort kommt, schauten auch andere Sender in ihre Schubladen

von René Martens

Wenn es darum geht, wer den Tatort erfunden hat, fällt sehr zu Recht der Name Gunther Witte. 1969, als der heute 81-jährige Dramaturg beim WDR war, beorderte ihn sein damaliger Vorgesetzter Günter Rohrbach zu einem Spaziergang in den Kölner Stadtwald. In lauschiger Atmosphäre bekam Witte einen Auftrag: Er sollte eine Reihe entwickeln als Konkurrenz zur damals sehr beliebten Serie „Der Kommissar“ im ZDF: „Heben Sie mir den ‚Kommissar‘ aus dem Sattel!“ soll Rohrbach gesagt haben. Witte hat auch Jahrzehnte später immer wieder seine Verwunderung darüber bekundet, dass ausgerechnet er diesen Auftrag bekam: Mit Krimis hatte er bis dato wenig am Hut gehabt.

Seine Grundidee: Jede „Tatort“-Geschichte sollte wirklichkeitsnah sein und einen regionalen Charakter haben, und im Mittelpunkt musste ein Kommissar stehen. Die Idee der Regionalität ergänzte sich bestens mit der Notwendigkeit, die anderen ARD-Anstalten einzubinden – schon aus finanziellen Gründen. Allein konnte der WDR das Großprojekt gar nicht umsetzen. Eine Krimireihe mit mehreren Kommissaren gab es bis dahin aber nirgendwo auf der Welt, und das erklärt zumindest teilweise den zunächst massiven Widerstand der ARD-Verantwortlichen. Als Witte das Konzept erstmals auf der vierteljährlich stattfindenden Koordinationssitzung der Fernsehspielchefs vorstellte, gab es „lange Gesichter“, sagt er: Kaum jemand habe sich geäußert. Einige Monate später präsentierte Witte es erneut – nun herrschte plötzlich Begeisterung bei den Hierarchen.

Ohne Wittes Rolle herunterzuspielen: Zu den Tatort-Vätern darf sich auch der heute 86-jährige Schriftsteller und Drehbuchautor Friedhelm Werremeier zählen, der im niedersächsischen Bad Bevensen lebt. In den 1960er-Jahren berichtete er auch als Gerichtsreporter über große Kriminalfälle. Wenn es in solchen Prozessen einmal Leerlauf gegeben habe und die meisten Beteiligten gelangweilt gewesen seien, habe er, wie es Werremeier einmal formuliert hat, „angefangen zu spinnen“, das heißt, darüber zu sinnieren, wie sich bestimmte Fälle abgespielt haben könnten.

Das erste Ergebnis seiner Gedankenspiele war der Roman „Ich verkaufe mich exklusiv“, erschienen 1968. Hier tauchte erstmals die Figur des Hamburger Hauptkommissars Paul Trimmel auf, der dann am 29. November 1970 in „Taxi nach Leipzig“ als erster Tatort-Ermittler überhaupt auftreten sollte. 1968 war auch für die bundesdeutsche Kriminalliteratur ein Jahr des Aufbruchs. Werremeier erzählte in „Ich verkaufe mich exklusiv“ die Story eines Filialleiters, der die eigene Bank ausraubt und die Geschichte später an eine Zeitschrift verkauft. Das war, seinerzeit ungewöhnlich für hiesige Krimis, nah dran an der gesellschaftlichen Realität.

Werremeier verarbeitete seine Kenntnisse der Justiz- wie der Medienwelt: Die Blattmacher-Figur Armand Bleeker – „ein schlanker, gut aussehender Mann mit grau melierten Haaren, ein etwas verfetteter Gary Cooper“ – ist Henri Nannen nachempfunden, dem langjährigen Stern-Chefredakteur. Werremeier hatte acht Monate lang in der Redaktion der Illustrierten gearbeitet. Die Geschichte gefiel auch dem NDR. Er gab eine Verfilmung in Auftrag, die unter dem Titel „Exklusiv!“ erstmals am 26. Oktober 1969 in der ARD zu sehen war. In dem Film, für den Werremeier das Drehbuch geschrieben hatte, spielte die Figur Trimmel eine eher kleine Rolle, der später so berühmte Kommissar taucht erst nach rund 70 Minuten auf.

Als klar war, dass das Tatort-Konzept möglichst schnell umgesetzt werden soll, wandte sich Dieter Meichsner, der damalige NDR-Fernsehspielchef, an Witte. Man plane, so der NDR-Mann, eine Reihe mit der Figur Trimmel, könne die Geschichten aber auch in das neue Format einbringen. Die Dreharbeiten zu „Taxi nach Leipzig“ liefen zu dem Zeitpunkt bereits. Auch andere Sender schauten in ihre Schubladen: Für den Zollfahnder Kressin, den ersten Ermittler des WDR, war ursprünglich ebenfalls eine eigenständige Serie vorgesehen. Und der SWR steuerte einen Krimi bei, der bereits fertig war und in den erst bei nachträglichen Dreharbeiten ein Kommissar eingebaut wurde. Bald wurde dann auch der Quasi-Proto-Tatort „Exklusiv!“ in Form einer Wiederholung nachträglich eingemeindet; offiziell ist dieser früher entstandene Film Trimmel-Tatort Nummer zwei und der neunte Tatort insgesamt.

Sämtliche Trimmel-Storys, geschrieben allesamt von Werremeier, erschienen auch als Romane – in der im Jahr 2000 eingestellten Rowohlt-Reihe „rororo Thriller“. Bei den Fällen des aktuellen Trimmel-Nachfolgers Nick Tschiller (Til Schweiger) könnte man sich das nicht so leicht vorstellen. Die Geschichte des allerersten Tatort-Kommissars begann nicht nur in einem Roman, sie endete auch dort: 2009 veröffentlichte Werremeier „Trimmels letzter Fall – mehr als ein Vierteljahrhundert nach Trimmels letztem Auftritt in einem Tatort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen