Abzocken leicht gemacht

Statt für innovative Medizin zahlen Patienten für das Marketing der Pharmaindustrie. Marcia Angell klärt über die dubiosen Machenschaften der US-Konzerne auf

VON STEPHANUS PARMANN

Die Pharmaindustrie hat in den USA „die Regierung gekauft, damit sie in ihrem Sinne handelt“. Das schreibt Marcia Angell, ehemalige Herausgeberin des bedeutendsten medizinischen Fachzeitschrift New England Journals of Medicine in ihrem Buch „Der Pharma-Bluff“.

Ausgangspunkt für ihre Überlegungen waren die hohen Arzneimittelpreise in den USA. Legitimiert werden sie von den Pharmakonzernen mit enormen Ausgaben für innovative Forschung. Doch: Angell weist nach, dass dies ein Ammenmärchen ist. Ihr zufolge ist die Pharmabranche nicht innovativ, sondern gibt weitaus größere Summen für Marketing und Werbung der Medikamente aus. Trotz aller Intransparenz, durch die sich die Branche wirklich auszeichnet, gelingt es Angell, zu klaren Ergebnissen zu kommen.

Weltweit erwirtschaftete die Pharmaindustrie 2004 einen Umsatz von 466 Milliarden Dollar, die Hälfte davon allein in den USA. Auch die Gewinnmargen lassen sich sehen. Und innerhalb der Branche gibt es eine klare Verteilung: Unter den 500 größten Pharmakonzernen verdienen die zehn Spitzenunternehmen mehr als die übrigen 490 Firmen zusammen. Statt aber Geld in Forschung und Entwicklung zu stecken (14 Prozent des Umsatzes), investiert die Pharmaindustrie lieber in Marketing und Verwaltung (36 Prozent). Darunter fallen Posten wie „Ärztebetreuung“ und „Ärztefortbildung“, das Unterwandern von Selbsthilfegruppen und der Einkauf von Forschungsmeinungen über Werbeagenturen, die Pillenforschungsunternehmen aufgekauft haben oder an ihnen als Investoren beteiligt sind.

Im Zuge dieser PR-Arbeit behaupteten die Pharmariesen, sie gäben 802 Millionen Dollar für Forschung und Entwicklung für eine einzige neue Pille aus. Die US-amerikanische Verbraucherschutzorganisation Public Citizen schätzte dagegen die Forschungs- und Entwicklungsausgaben für den Zeitraum von 1994 bis 2000 auf nur rund 71 Millionen Dollar. Die Resultate der Innovationskraft der Unternehmen sehen entsprechend bescheiden aus. Im Zeitraum von 1998 bis 2002 haben die Top Ten der Pharmakonzerne gerade einmal zwölf innovative Präparate im Jahr entwickelt. In den Jahren 2001 und 2002 waren es nur sieben.

In den USA erschien Angells Buch noch vor dem großen Wahlkampf-Duell zwischen Präsident George W. Bush und dessen demokratischen Herausforderer John Kerry. Die Wahlen gingen so aus, wie es sich die Pharmakonzerne gewünscht hatten. Denn sie sympathisieren mit den Republikanern. Offen gelegt hat das die New York Times. Einem Bericht zufolge schrieb der damalige Vorsitzender des Republikanischen Komitees Jim Nicholson an Charles A. Heimboldt, seinerzeit Vorstandchef bei Bristol Meyer Squibb: „Wenn wir weiterhin Gesetze verabschieden wollen, die Ihrer Branche nützen, müssen wir die Kommunikationskanäle offen halten.“

Der Tipp mit dem Hinweis auf finanzielle Unterstützung trug rasche Früchte. Rund zwei Millionen Dollar spendende allein Bristol Meyer Sqibb. Großzügig zeigten sich anschließend aber auch die Republikaner. Sie unterstützten Ende 2003 ein Gesetz, dass es der staatlichen Krankenversicherung für Rentner ausdrücklich verbietet, beim Großeinkauf bei Pharmakonzernen die Preise zu verhandeln oder gar Rabatte zu bekommen. Andere Großkunden dürfen das natürlich.

Mit diesem Gesetz schenkten die Republikaner den Pharmafirmen eine Goldgrube. Die Aktienkurse schossen alsbald in ungeahnte Höhen. Leidtragende sind die Rentner. Ihre Versicherungsprämien und Selbstbehalte steigen, ihre Leistungen werden gekürzt.

Schon lange regt sich in der amerikanischen Öffentlichkeit der Unmut über zu hohe Medikamentenpreise. Doch die Unternehmen werden nicht müde, ihre Preise mit hohen Forschungs- und Entwicklungskosten für innovative Medikamente zu legitimieren. Dass das ein großer Bluff ist, legt Angell überzeugend dar. Sie zeigt: Die wenigen innovativen Produkte, die jährlich auf den Markt kommen, stammen nahezu ausschließlich aus staatlich finanzierter Forschung. Angells Buch ist aufklärerisch. Sie deckt die Ideologie der Pharmagiganten auf, analysiert die Funktionsweise des Systems, legt seine Schattenseiten frei und zeigt darüber hinaus Alternativen auf.

Marcia Angell: „Der Pharma-Bluff. Wie innovativ die Pillenindustrie wirklich ist“. KomPart-Verlag, Bonn/Bad Homburg 2005, 288 Seiten, 24,80 Euro