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Fratze der Selbstverwaltung

Redaktionskollek-tiEF Bei der Bremer taz gab es schon früher keinen „Chef“, der im Zweifelsfall entschied. Also wollten alle Chef spielen, erinnert sich Kerstin Schneider, Redakteurin von 1995 bis 1999. Und sie bekennt: „Ich war auch nicht immer nett.“

Die softe Seite des Kollektivs, 1988 (?): Oliver Wegener, Sybille Simon-Zülch, Regina Kerichel, Elke Adebahr, Susanne Paas, Uta Stolle (v.l.) Foto: Archiv

von Kerstin Herrnkind

Vor dem 8. März, dem internationalen Frauentag, grauste mir jedes Jahr. Nicht weil ich was gegen Gleichberechtigung hätte. Aber an diesem Tag zofften wir uns in der Redaktion so sicher wie am Abend die Sonne unterging. Und es wurde noch lauter als sonst. Einmal gab es ein Fotokonzept, für das Frauen in verschiedenen Lebenssituationen aufgenommen worden waren. Diese Porträts mussten dann am Frauentag ins Blatt. Und zwar nur diese Fotos. Die Frauen, die in der Ausgabe tatsächlich zu Wort kamen, wurden nicht gezeigt, weil sie ja das Konzept gestört hätten.

Ich hatte die inzwischen verstorbene Altbürgermeisterin Annemarie Mevissen, damals über 70, interviewt. Wir zeigten allerdings kein Bild von ihr, sondern das einer anderen, deutlich jüngeren Frau auf der Seite, weil diese Frau ja fürs Konzept fotografiert worden war. Kein Argument half. Auch nicht, dass Leser in der Regel sehen wollen, wer spricht. Und verwirrt sind, wenn sie Text und Bild nicht zusammenbringen können. Einen Chefredakteur, der in solchen Fällen ein Machtwort hätte sprechen können, gab es nicht.

Der Chef oder die Chefin vom Dienst (CvD) durfte zwar die Konferenz leiten, Seiten bauen, sich ein bisschen wie das Redaktionsoberhaupt fühlen, wurde aber im Zweifel überstimmt. Kein Chef also. Klingt himmlisch. War schrecklich. Denn wenn es keinen Chef gibt, wollen alle Chef spielen. Ihren Willen durchsetzen. Ich war da keine Ausnahme.

Wenn wir uns nicht einigen konnten, endete die Konferenz nicht selten im Geschrei. Und ja, ganz ehrlich, ich schrie oft am lautesten. In diesem „Redaktionskollektiv“ habe ich oft keine gute Rolle gespielt, das muss ich zugeben. Aber in diesem selbst verwalteten Biotop konnte man auch die Nerven verlieren.

Selbst gestricktes taz-Recht

Man arbeitete ständig am Limit. Für einen Hungerlohn. Hatte mehrere Geschichten pro Tag an der Backe. Schrubbte Überstunden, arbeitete die Wochenenden durch. Betriebsrat? Wenn andere Firmen keinen BR hatten, war das natürlich ein Skandal, den die taz genüsslich ausbreitete, freilich ohne zu erwähnen, dass die taz in Bremen selbst keinen Betriebsrat hatte. Aber dafür hatten wir ja unser „KO-Team“, das Koordinationsteam, das alle wichtigen Entscheidungen, Einstellungen wie Kündigungen, fällte.

Das KO-Team wurde zwar auch gewählt, aber der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin saß bei den Sitzungen selbstverständlich mit am Tisch. Eine pikante Konstellation. Das wäre in etwa so, als wenn sich der Geschäftsführer eines Unternehmens einen Sitz im Betriebsrat ausbedingen würde. Inklusive Stimmrecht. Arbeitsrecht? Betriebsverfassungsgesetz? Fehlanzeige. Es galt selbst gestricktes taz-Recht.

Das Elend mit Groß-I

Foto: K. Herrenkind
Kerstin Herrnkind

geb. Schneider, war von 1995 bis 1999 Redakteurin bei der taz. Danach ging sie zum Stern, wo sie heute noch als Reporterin arbeitet.

Und dann dieser Zwang zum großen I. Wehe, wehe, wenn man das vergessen hatte. Dann setzte es tadelnde Blicke von der Frauenfraktion. Mann, Mann, ging mir dieser alternative Muff auf den Zeiger. Nie waren meine Röcke kürzer. Nie waren die Absätze meiner Schuhe höher als die, mit denen ich damals allmorgendlich in die selbst verwaltete taz-Redaktion stöckelte.

Und dann diese LeserInnen (irgendwie doch ganz praktisch das große I), deren Verständnis für freie Presse jedes Mal endete, wenn die Fakten gegen ihr Weltbild sprachen. Und wenn jemand wagte, das auch noch aufzuschreiben. Oder die Bremer Grünen, die taz-RedakteurInnen selbstverständlich duzten, weil sie die taz für eine Filiale ihrer Pressestelle hielten. Und sich beschwerten, wenn sie feststellen mussten, dass das beileibe nicht so war.

Ich war auch nicht nett

Nein, die Zeit bei der taz war nicht nur schön. Sie war vor allem anstrengend. Auch wenn ich sie nicht missen möchte, weil ich viel gelernt habe. Auch über mich selbst. Also, liebe Ex-KollegInnen, wo immer ihr jetzt seid: Ich war vielleicht nicht immer nett zu euch. Sorry. Aber ich würde lügen, wenn ich schriebe, dass ich euch vermisste. Euch geht es sicher ebenso. Sind wir uns doch einig. Endlich mal.

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