: Schwul in der Schweiz, lesbisch in Indien
Am Dienstag beginnen die schwul/lesbischen Filmtage in Hamburg und Bremen. Dort zeigt sich, dass schwul nicht gleich schwul und lesbisch nicht gleich lesbisch ist
von Wilfried Hippen
Ein Konzept kann man den OrganisatorInnen wohl kaum unterstellen, wenn bei den Lesbisch Schwulen Filmtagen in Hamburg und dem Bremer Queerfilm-Festival, die beide in der kommenden Woche beginnen, jeweils gleich zwei Filme aus Indien und der Schweiz in den Programmen auftauchen. Doch bei jedem Filmfestival gibt es Muster und Leitmotive, und die wirklich spannenden und erhellenden sind meist die unbeabsichtigten, zufälligen – die sich vielleicht nur im Kopf der Zuschauer zusammenfügen.
So hat man hier also Gelegenheit, jeweils einen Film über Schwule und einen über Lesben aus Indien und der Schweiz miteinander zu vergleichen. Und natürlich sind die Unterschiede frappierend. Zum einen kommen die vier Filme aus völlig verschiedenen Filmkulturen, zum anderen ist die Akzeptanz von homosexueller Liebe in beiden Ländern auf einem ganz anderen Niveau.
Dies merkt man schon daran, dass die Regisseurin Ligy Pullappally in ihrem Film „The Journey – Sancharam“ beinahe die Hälfte des Films darauf verwendet, die Protagonistin Kiran als ein sympathisches, nettes Mädchen zu zeichnen, das Gedichte schreibt und lange Zeit nur die beste Freundin des Nachbarmädchens Delilah sein will. Man merkt die Anstrengung, mit der die Filmemacherin dem Publikum diese Protagonistin ans Herz zu legen versucht, damit ihre „Reise“ hin zur gleichgeschlechtlichen Liebe nur ja niemand vor den Kopf stößt. Der Film erzählt ruhig, poetisch, und wenn Kiran für einen Jungen, der in Delilah verliebt ist, glühende Liebesbriefe an diese schreibt, scheint dies eine kleine Hommage an Cyrano de Bergerac zu sein.
Um so schockierender ist dann die Reaktion der Dorfgemeinschaft und der Familien, wenn Delilah die Gefühle ihrer Freundin erwidert und die beiden ihre Liebe nicht geheim halten können. Die Schimpfkanonaden und brutalen Ausgrenzungen sind in einem ganz anderen, viel realistischeren Stil inszeniert.
Weil er ohne Lieder und Tanzszenen auskommt, gilt „The Journey“ in Indien als Filmkunst für das gebildete Publikum in den Metropolen. Der Regisseur Onir hat sich dagegen an die Regeln des Bollywoodkinos gehalten, so dass jeder Akt mit einer, wenn auch vergleichsweise bescheidenen, musikalischen Shownummer endet. In „My Brother... Nikhil“ erzählt Onir die auf einer wahren Begebenheit beruhenden Geschichte des gefeierten Regionalschwimmmeisters Nikhil, der seine homosexuellen Neigungen vor allen geheim hält, bis er sich mit Aids infiziert und wie ein Aussätziger isoliert wird. Einerseits badet der Film ständig in großen Gefühlen: Nikhils Schwester, sein Geliebter, die Mutter, der Vater, der ihn hartherzig verstieß und sich erst am Todesbett wieder mit ihm versöhnt – sie alle haben mindestens eine große tränenreiche Szene.
Andererseits erzählt Onir aber in quasidokumentarischen Rückblenden, und er hat einige sehr prägnante Bilder für die in Indien herrschende Hysterie angesichts des Aidsproblems gefunden. So etwa, wenn Nikhil ins Becken springt und alle Schwimmer panisch zu den Rändern strampeln, um nur ja nicht das Wasser mit ihm teilen zu müssen.
Wie tolerant und aufgeklärt geht es dagegen in der Schweiz zu – möchte man anfangs denken, wenn man sieht, wie selbstverständlich in „Hildes Reise“ von Christof Vorster der Schreiner Steff seine Homosexualität auslebt. Doch als sein früherer Geliebter Martin Hilder an Aids stirbt und ihn als Erben einsetzt, muss er sich mit dessen Mutter abplagen, die in der feinen Gesellschaft von Zürich lebt und schlicht leugnet, ihr Sohn sei schwul gewesen und an Aids gestorben. Keiner würde da offen eine schwulenfeindliche Bemerkung machen, man schweigt nur peinlich berührt und beerdigt den Sohn im Familiengrab, obwohl es sein letzter Wusch war, dass seine Asche von seinen Freunden im Meer verstreut wird. So stiehlt Steff die Urne und fährt mit dem HIV-Infizierten Rex, der Hilder beim Sterben begeleitet hat, an die Küste der Bretagne. So langsam, wie die beiden Männer sich auf ihrer Reise mit der Urne ihres toten Freundes nahe kommen, lernt auch der Zuschauer sie kennen. Der Film ist dabei so abgeklärt wie seine Protagonisten. Die sind so komplex und wahrhaftig gezeichnet, dass der Film dann doch auf eine ganz eigene Weise berührt.
Eine Schweizer Variation von „The Journey“ hätte am Beginn des Films „Katzenball“ erzählt werden können, als ein Beispiel aus der finsteren Vergangenheit des frühen 20. Jahrhunderts, als die homosexuelle Liebe in der Schweiz noch gesetzlich verboten war. In dem Dokumentarfilm kommen fünf Lesben im Alter zwischen 25 und 94 Jahren zu Wort, die in einem Schwyzerdütsch, das Untertitel dringend erforderlich macht, von ihren Leben berichten. Dabei beeindruckt zum einen die Offenheit der interviewten Frauen, die zum Teil wunderschöne Liebesgeschichten erzählen, zum anderen aber die Freiheit, mit der sie schon in den 30er Jahren ihre Subkultur pflegen und gedeihen lassen konnten. Von Repressionen wird erstaunlich wenig berichtet, statt dessen von legendären Bällen in den 50er-Jahren und revolutionären Lesben in den 60ern.
Die Filmemacherin Veronika Minder hat aus einer Vielzahl von Archiven geschöpft, und so ist ihr Film auch eine Kompilation von Bildern des lesbischen Lebens des vorigen Jahrhunderts. Da sieht man natürlich Marlene Dietrich im Frack, aber auch Liselotte Pulver in strammen Hosen, und es werden Ausschnitte aus heute hochkomisch wirkenden Fernsehsendungen gezeigt. Frau kann hier viel Lachen, ein Luxus, den sich die indischen FilmemacherInnen nicht leisten können. Ihnen bleibt keine andere Wahl, als todernst von der schwul/lesbischen Liebe zu erzählen – auch dies ein Indiz der Diskriminierung.
„The Journey – Sancharam“: Hamburg: Mi, 18 Uhr, Cinemaxx; Bremen: Do, 18 Uhr, Kino 46„My Brother... Nikhil“: Bremen: Fr, 20.30 Uhr, Kino 46; Hamburg: Sa, 20.15, Cinemaxx„Hildes Reise“: Bremen: Do, 20.30 Uhr, Kino 46; Hamburg: Fr, 20.15 Uhr, Cinemaxx„Katzenball“: Bremen: Mi, 20.30 Uhr, Kino 46; Hamburg: So, 20 Uhr, Metropolis