: Puppentheater 2.0 mit feinem Lowtech Appeal
Theater Das Festival „Theater der Dinge“ will Puppentheater und Internet of Things zusammenführen und noch mehr
von Tom Mustroph
Dinge können beseelt sein. Nur dank dieser Übertragungsoperation funktioniert Puppen- und Objekttheater. Ein Stückchen Holz, ein Stein, ein Fetzen Stoff – das alles können Figuren, können Protagonisten sein. Im heraufziehenden Zeitalter des Internets der Dinge, der smarten Kühlschränke und Toiletten, der digitalen Assistenten und des Cyberpornos, ergeben sich fürs Puppentheater 2.0 ganz neue Möglichkeiten. Einer, der das ganz besonders gern erkunden will, ist Tim Sandweg, seit einem Jahr Chef der Schaubude. Deshalb hat er zu seinem ersten großen Festival als Intendant Künstler eingeladen, die mit Robotern und Drohnen spielen, mit Pop-up-Büchern Geschichten erzählen und ganz allgemein Objekte digitalisieren, mit denen sie dann operieren. „Digital ist besser“, lautet der hübsche Untertitel des Festivals „Theater der Dinge“, das noch bis zum Donnerstag in der Schaubude und im Podewil stattfindet.
Gut, der Schritt in die digitale Zukunft braucht etwas Vorbereitung. Die Gruppe Manufaktor etwa, die in ihrem Projekt „Pinocchio 2.0“ den frechen menschenähnlichen Protagonisten zur Premiere im nächsten Jahr mit einem Roboter besetzen und ihn dabei von einer Drohne umschwirren lassen will, hat noch einiges an Bastelarbeit vor sich. Beim „Festivalfrühstück“, einem zwanglosen Vorausblick in das Puppentheater der Zukunft, hatte die Truppe noch nicht einmal die Drohne angeschafft. Aber es sind ja auch noch ein paar Monate Zeit. Recht virtuos gingen hingegen Kristin und Davy McGuire in „The Icebook“ mit einem Pop-up-Buch um – und schufen so dreidimensionale Effekte. Aus den Buchseiten wachsen reliefartig die Strukturen von Schiffen, Häusern und Interieur heraus. Auf sie treffen Rückprojektionen. Und so kann dann etwa im Kamin eine Prinzessin erscheinen und den Helden zum Aufbruch in ihr Reich locken. Gebannt verfolgt man den Reiseweg und sieht, wie aus einem Buch ganz direkt Geschichten aufsteigen.
Neuartige Oberflächen
Dass Animation auch viel hemdsärmliger vonstatten gehen kann, sah man am Eröffnungstag des Festivals beim französischen Künstler Yro und den Belgiern Vincent Glowinski und Teun Verbruggen. Yro, ein bärtiger VJ an Kamera und Mischpult, lud analoge Familienfotos per Hand in den Zwischenspeicher, indem er sie vor der Kamera bewegte. Ganz neuartige Oberflächentexturen entstanden so. Seltsame Bildausschnitte, Teile von Mund und Ohr etwa oder Nahaufnahmen von großporiger Haut, wurden ausgewählt. Und auch das Prinzip der Kamerafahrten wurde neu interpretiert: Hier führte die Künstlerhand das Bild am fest installierten Kameraauge vorbei und erzeugte so den Effekt der Bewegung. Gar nicht so weit entfernt vom Fotoatelier, in dem einst der Filmapparate-Künstler Max Skladanowsky in die Lehre ging, durfte man Zeuge von einem ganz neuartigen Jahrmarktspektakel mit bewegten Bildern werden. Der Neu-Skladanowsky Yro loopte die in den Arbeitsspeicher hochgeladenen Bilder schließlich noch, ließ sie zittern, ausfransen und einander in Schichten überlagern.
Gleich ganze Objekte „digitalisierte“ Vincent Glowinski. Begleitet von seinem kongenialen Schlagzeugpartner Teun Verbruggen, legte er erst eine Wurst auf seinen Arbeitstisch und filmte sie dann ab. Die Projektionen wurden mit einem Weinglas – umgekippt, ausgeschüttet und weggefegt – fortgesetzt. Dem wilden Auftakt folgte ein Hochhausbau aus weißen Papierbögen. Einmal erbaut, fielen aus den Fenstern plötzlich Figuren – unerbittlich zoomte die Kamera darauf, und der Projektor vergrößerte das Massenfallen auf die mehrere Meter große Wand. Ein echter Zimmerhorror, akustisch untermalt vom Mann am Schlagzeug. Später entstanden auf diese Art noch hingetuschte Erzählungen, bis die Wurst vom Anfang sich schließlich in eine Pistole verwandelte und zum finalen Bühnensuizid von Glowinski eingesetzt wurde.
Insgesamt überzeugte bei „Theater der Dinge“ bislang der Lowtech-Zugriff auf die Dinge; neue Archaik entstand im Zwischenreich von analog und digital. Ein Höhepunkt verspricht am Mittwoch die Deutschlandpremiere von „Birdie“ zu werden, einem nicht mit Vogelschwärmen, sondern mit Kleinstpuppen und Kamera erzählten Remake des Hitchcock-Klassikers „Die Vögel“, in dem über das Verhältnis von Migration und Angst nachgedacht wird. Natürlich, digital ist auch politisch.
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