: Eingekreist und abgeschafft
Kreisgebietsreform Nach 25 Jahren will Brandenburg seine Kreise reformieren. Der Konflikt könnte auf einen Volksentscheid und eine Verfassungsklage hinauslaufen
von Marco Zschieck
Verwaltungen schaffen sich ungern selbst ab. Das weiß auch die Brandenburger Landesregierung. Sie plant derzeit eine umfassende Kreisreform und will sie per Gesetz durchsetzen. Statt 14 Landkreisen und vier kreisfreien Städten soll es ab 2019 nur noch neun Kreise und die Landeshauptstadt Potsdam als einzige kreisfreie Stadt geben. Doch gegen den Plan regt sich Widerstand: Eine Koalition aus betroffenen Landkreisen und Oppositionsvertretern will im November eine Volksinitiative starten.
Die Landesregierung führt als Argument für die Kreisreform den demografischen Wandel und das damit einhergehende Sinken der Bevölkerungszahl an. Jeder dritte Brandenburger werde 2030 über 65 Jahre alt sein. Landesweit geht die Bevölkerungszahl um 87.000 Einwohner oder 3,5 Prozent auf 2,36 Millionen zurück. Zudem ist die Entwicklung ungleich verteilt: Im Berliner Speckgürtel gibt es massiven Zuzug, während sich ländliche Regionen entvölkern. Um dennoch eine funktionierende Verwaltung in der Fläche aufrechtzuerhalten, brauche man größere Strukturen.
Bereits im Sommer 2015 hatte der Landtag mit der Koalitionsmehrheit aus SPD und Linken sogenannte Leitlinien für die Reform beschlossen. Demnach sollten die Kreise künftig mindestens 175.000 Einwohner haben und höchstens 5.000 Quadratkilometer groß sein. Das ist etwa die doppelte Fläche des Saarlands. CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben sprach schon damals von Zentralisierung und Zwangsfusion.
Wie die neuen Kreise konkret aussehen sollen, stellte die Landesregierung Anfang Oktober vor. Allein die Landeshauptstadt Potsdam und die Kreise Märkisch-Oderland und Oberhavel sollen unverändert bleiben. Der bevölkerungsreichste Landkreis Potsdam-Mittelmark bleibt selbstständig, muss aber ein kleines Gebiet im Norden an das Havelland abgeben. Und im Nordwesten sollen die Prignitz und Ostprignitz-Ruppin einen neuen Kreis bilden sowie im Nordosten die Uckermark und der Barnim.
Die letzte Kreisreform in Brandenburg gab es 1993. Damals wurde die seit 1952 bestehende kleinteilige Kreisstruktur aus der DDR-Zeit umgebaut. Aus 38 Kreisen wurden 14.
Die kreisfreien Städte Brandenburg an der Havel, Cottbus, Potsdam und Frankfurt (Oder) behielten ihren Status und wurden teilweise um umliegende Gebiete vergrößert. Hingegen gehen Eisenhüttenstadt und Schwedt in den sie umgebenden Landkreisen auf. Die Gebiete der neuen Kreise wurden dabei so zugeschnitten, dass neun von ihnen auch einen Anteil am sogenannten Berliner Speckgürtel erhielten, für den man sich damals ein schnelleres Wirtschaftswachstum und damit höhere Steuereinnahmen erhoffte.
Auch beim Zuschnitt der neuen Kreise ab 2019wird dieses Prinzip nach den Plänen der Koalition fortgesetzt – außer in der Lausitz. Kreise sind beispielsweise für den Nahverkehr und Naturschutz zuständig, aber auch für Jugendämter und Kraftfahrzeugzulassung.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat die umstrittene Kreisgebietsreform verteidigt und den Landkreisen einen größeren Handlungsspielraum in Aussicht gestellt. Der Volksinitiative von Gegnern der Reform sieht Woidke nach eigenen Angaben gelassen entgegen. Eine Gegenkampagne plane die Regierung nicht, aber man wolle klarmachen, dass die Reform „vernünftig und notwendig“ ist. Auf Falschbehauptungen müsse man „natürlich reagieren. Die Wahrheit ist: Es werden keine Sparkassen, Schulen oder Krankenhäuser durch diese Reform geschlossen. Es wird auch niemand entlassen.“ (mar)
110 Kilometer Luftlinie
Brandenburg/Havel wird dem Landkreis Havelland zugeschlagen. Auch Frankfurt (Oder) soll seine Kreisfreiheit verlieren und geht in dem bisherigen Kreis Oder-Spree auf. Die Landkreise Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald sollen zusammengefasst werden. Im Süden sollen Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz und Spree-Neiße mit Cottbus zu einem neuen Lausitzkreis fusionieren – Letzteres ist wohl die umstrittenste Änderung: Von Forst an der polnischen Grenze nach Herzberg im Westen sind es fast 110 Kilometer Luftlinie.
In Cottbus kommt das überhaupt nicht gut an. Die Universitätsstadt hat viel zu verlieren. Man rechne mit finanziellen Einbußen, heißt es aus dem Rathaus. Schließlich müsste sich die Stadt dann per Kreisumlage an den Verwaltungskosten für den riesigen Lausitzkreis beteiligen. Das werde die Einsparungen übertreffen. Außerdem gehen Kompetenzen für die Schulen oder die kommunale Straßenbahn an den Kreis verloren. Sollten die Pläne Gesetzeskraft annehmen, werde Cottbus eine Verfassungsklage einreichen.
Auch in Cottbus Nachbarkreisen dürfte die Vorfreude gedämpft sein. Die Stadt drücken laut dem Statistischen Landesamt etwa 240 Millionen Euro Schulden. Nur rund die Hälfte würde das Land im Zuge der Reform übernehmen.
Problematisch ist die Reform auch aus einem anderen Grund: Die großen Entfernungen und die gewachsenen Aufgaben belasten die Arbeit der ehrenamtlichen Kreistage. Zwar beteuert die Landesregierung, dass durch die Reform keine Stellen abgebaut würden. Wenn aber die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung zurückgeht, schrumpfen auch die Einnahmen der Kreise. Langfristig erzeugt das Spardruck – trotz der Reform.
Natürlich wächst auch die Distanz zwischen Bürgern und Verwaltung. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern haben ihre Kreisreform schon hinter sich. In letzterem Fall entstanden sechs Riesenkreise. Der Rückzug der öffentlichen Verwaltung aus der Fläche wird auch als Grund für das Erstarken von Rechtspopulisten angesehen.
In der Brandenburger Politik wird nun heftig diskutiert. Das parlamentarische Verfahren beginnt ja erst noch. Voraussichtlich im Sommer nächsten Jahres wird der Landtag darüber abstimmen. Die Regierungsmehrheit ist bisher geschlossen dafür. Die CDU ist strikt dagegen und fordert stattdessen freiwillige Zusammenschlüsse. Die Grünen halten die Reform im Großen und Ganzen für notwendig, kritisieren aber Details wie die künftige Kompetenzverteilung zwischen Land und Kreisen. Der Lausitzkreis im Süden sei viel zu groß dimensioniert. Die AfD lehnt die Pläne konsequent ab.
Volksinitiative formiert sich
Möglicherweise muss sich der Landtag ein weiteres Mal mit dem Thema beschäfti-gen. Wann, hängt vom Erfolg der Volksinitiative ab. 20.000 Unterschriften sind dafür notwendig, die binnen eines Jahres gesammelt werden kön-nen. Lehnt die Landtagsmehrheit ab, gibt es ein Volksbe-gehren. Im nächsten Schritt könnte ein Volksentscheid folgen.
Wie eine Graswurzelbe-wegung mutet der organisierende Verein „Bürgernahes Brandenburg“ indes nicht an. In ihrem Vorstand präsentierten sich in der vergangenen Woche gleich mehrere aktuelle und ehemalige Landräte, Bürgermeister sowie Oppositionsführer Senftleben von der CDU. Also Protagonisten, die schon von Amts wegen gegen die von der rot-roten Landesregierung vorgelegte Reform sein müssen.
Interessant ist in dem Zusammenhang, dass die CDU die Sache anders sah, als sie noch selbst in der Regierung saß. Exgeneral Jörg Schönbohm, im Jahr 2008 als Innenminister der damaligen rot-schwarzen Koalition auch für Kommunales zuständig, forderte seinerzeit, dass die Städte Brandenburg, Cottbus und Frankfurt (Oder) ihre Kreisfreiheit verlieren sollten.
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