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Das Glück der Männer

Film Das Zeughauskino zeigt Arbeiten von Regie-Vorreiterinnen, die männliche Perspektiven in den Fokus rückten

von Carolin Weidner

Die Spiele der alten Tante: Eier mit einem Stift bemalen, auf dass auf den nackten Schalen lustige Gesichter erscheinen mögen. Dann: eines nach dem anderen zerstören, auf die Eierköpfe einschlagen, sie enthaupten. Und sich dabei womöglich vorstellen, welch Peiniger sich hinter dem Kalkgesicht verbergen könnte. Ein großer Spaß, eine kleine Sauerei. Die Spiele der jungen Mutter: sich zum Sohn ins Bett legen und ihm die Brust einreiben. Ihn kitzeln und dann zu streicheln beginnen. Aus mütterlicher Hinwendung eine erotische Tortur machen. Den Jungen abstrafen, wenn er sich auf dieses Spiel einlässt.

In Mai Zetterlings „Nattlek / Verschwiegene Spiele“ (1968) widerfahren Jan beide Situationen. Und es ist ihm sowohl als Kind – gespielt wird er dann von Jörgen Lindström, der fünf Jahre zuvor bereits in Ingmar Bergmans „Das Schweigen“ eine bizarre Erwachsenenwelt mitmachen musste – als auch als Mann (Keve Hjelm) zu begegnen. Für beide dreht sich viel um diese Mutter (Ingrid Thulin), eine mondäne, wechselhafte Figur, die mal Zirkuskönigin ist, dann Anarchistin. Als sie während einer Party vor versammelter Mannschaft gebiert, ruft sie: „Ich werde einen weiteren Idioten in die Welt setzen!“ Ein pompöser, zum Veröffentlichungszeitpunkt Anstoß erregender Film (bei den Filmfestspielen in Venedig 1966 wurde eine öffentliche Vorführung untersagt, weswegen sich die Jury zu einer gesonderten Sichtung zurückziehen musste) voll Symbolik und Absurd-Obszönen.

Am 27. Oktober eröffnet „Nattlek“ den zweiten Teil von „Aufbruch der Autorinnen“ im Zeughauskino. Vor einem Jahr war dort schon einmal ein Film der Schwedin Zetterling zu sehen: „Flickorna / Die Mädchen“. Im ersten Teil der Reihe.

Über einen Monat lang wurden über zwanzig Filme von Regie-Vorreiterinnen wie Larisa Shepitko, Liliana Cavani oder Agnès Varda samt Symposium zur Aufführung gebracht. „Aufbruch der Autorinnen II“ versteht sich nun als eine Art Nachlese und Ergänzung. Dabei rücken 2016 verstärkt auch männlichen Perspektiven in den Fokus. „Nattlek“ ist ein solches Beispiel dafür.

Aber auch „Le Bonheur/Glück aus dem Blickwinkel des Mannes“ (1965) von Agnès Varda, deren vibrierender und nicht nur farblich rauschhafter „Lions Love (… and Lies)“ aus dem Jahr 1969 schon 2015 zu sehen war. „Le Bonheur“ erzählt von François Chevalier (Jean-Claude Drouot), der zwei Frauen liebt: Thérèse, mit der er Familie hat, und Émilie, einer jungen Postangestellten. In ruhiger Abfolge entfaltet sich da ein Lebensmodell eines vielleicht ganz anderen Gepräges. Der evangelische Filmbeobachter bemerkte 1965 jedenfalls: „Gleichwohl für Erwachsene, denen freilich einiges Urteilsvermögen zu wünschen wäre, gern empfohlen.“ Und die Internationalen Filmfestspiele zeichneten Varda für „Le Bonheur“ mit einem Silbernen Bären aus – nebenbei: als erste Frau überhaupt.

Für „Le Bonheur“ erhielt Agnès Varda als erste Frau einen Silbernen Bären

Preise gibt es unterdessen auch in Jasmina Blažević’ Dokumentation über die 2014 verstorbene Věra Chytilová zu bewundern. Jene präsentiert die tschechische Filmemacherin nämlich an einer Stelle von „Journey: A Portrait of Famed Czech New Wave Film Director Věra Chytilová“ (2004).

Sowieso zeigt sich Chytilová, deren bekanntester Film „Sedmikrásky/Tausendschönchen“ (1966) von einer durchaus lustvollen (Selbst-)Zerstörung zweier Freundinnen handelt, in Blažević’ Porträt sehr freigiebig. Sie berichtet von ihrem Studium an der berühmten Prager Filmhochschule Famu und einem Selbstmordversuch, sie spricht von ihrer Rolle als Regisseurin und teilt wesentliche Erkenntnisse. Eine hat mit der sogenannten Hysterie zu tun und der Furcht, mit der Männer ihr begegneten. Chytilovás schlussfolgert aus der Beobachtung: „I knew I had to make hysterical scenes!“ Und über die politische Situation der damaligen ČSSR sagt sie: „I knew the enemy was a dangerous idiot!“

Chytilovás Filme sind von eigensinniger Machart, es kommen mutige, gern auch komische Frauen in ihnen vor. Und sie haben etwas unterschwellig Appellierendes, das auch tröstlich wirken kann. Ganz ähnlich dem Filmtitel „Szép láyok, ne sirjatok“ (1970) der Ungarin Márta Mészáros, welcher ins Deutsche übertragen lautet: „Schöne Mädchen, weinet nicht!“

Aufbruch der Autorinnen II: 27.–30. 10., Zeughauskino

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