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Unheimliche Ruhe

RISSE Landschaften in Zeiten des Anthropozäns: Die Aus-stellung „Longing for Landscape“ im Tieranatomischen Theater

„New Orleans, Mississippi (2011)“ Foto: Constanze Flamme

von Tom Mustroph

Landschafts- und Seestücke haben ihre Unschuld verloren. Golden glänzt zwar das Meerwasser im Dämmerlicht vor der Skyline von New Orleans. Der angerostete Frachtkahn, der von rechts ins Bild fährt, erzeugt aber leichte Unruhe und erinnert schließlich an die Havarie der Ölplattform Deepwater Horizon, in deren Folge die Küste von Louisiana vor sechs Jahren so extrem verpestet wurde. Die Berliner Fotografin Constanze Flamme war ein Jahr später vor Ort und ging in ihrer Serie „Troubled Water“ den Folgen des Ereignisses nach. Während das ausgewählte Bild „New Orleans, Mississippi (2011)“ vor allem den mentalen Folgen der Katastrophe nachspürt, dem wissenden Erkennen des Unglücksorts Raum gibt, zeigen andere Arbeiten der Ausstellung „Longing for Landscape – Landschaftsfotografie im Anthropozän“ im Tieranatomischen Theater der Humboldt-Universität direkt die Wirkung, die menschliches Tun in der Landschaft hinterlassen hat.

Der Mensch ist getreu der neuen geochronologischen Form des Anthropozäns eben kein Beobachter der Natur mehr, sondern ein Gestalter, ein Faktor – und das sogar, wenn er es gar nicht sein möchte. Der lange Riss im Lehmboden Englands, den der britische Fotograf John Volynchook während einer seiner ausgedehnten Fahrradtouren festgehalten hat, befindet sich in einer Gegend, in der durch Fracking Erdgas gefördert wird. Die schwarze, bis zum Horizont reichende Linie ist damit ein unübersehbarer Hinweis auf die Druckverhältnisse, die in den tieferen Schichten eben wegen des Frackings herrschen. Der Riss ist ein neues Landschaftselement.

Keine Katastrophenbilder

Wie auch das ausgetrocknete Bett eines Gletscherflusses in Island, das Olaf Otto Becker zeigt. Nur ein Rinnsal ist noch auf dem Boden der tiefen Schlucht auszumachen, dazu einige Betonfundamente. Der Gletscherfluss wurde zwecks Energieerzeugung umgeleitet.

„Illulissat (2016)“ Foto: Olaf Otto Becker, Courtesy of Galerie f5,6 München

Interessant an der von der Kuratorinnengruppe cucoberlin konzipierten Ausstellung ist die geradezu geologische Ruhe der Arbeiten. Hier wird nicht angeklagt, nicht der spektakulärste Ausschnitt von Katastrophenbildern ausgewählt, sondern der Blick auf eher unscheinbare Details gerichtet, die den Charakter der tiefgreifenden Naturveränderung aber sehr deutlich machen. Die in Reihe und Glied stehenden Bäume des forstwirtschaftlich angelegten Waldes etwa, die Bernhard Fuchs dokumentiert und die die Transformation des einst dunklen und tiefen deutschen Waldes in einen soldatischen Holzgroßkörper geradezu greifbar machen. Auch Hans-Christian Schinks Bilder von Brückenpfeilern und Autobahntrassen vermessen die Ausmaße der Veränderung.

Aber auch eine ironische Position ist zu sehen. Sanna Kannisto führte bei Expeditionen mit Biologen im peruanischen Regenwald seltene Pflanzen und Vögel mit sich, die sie in einer Laborsituation präsentierte. Streng gesäubert, mit White- Cube-Qualitäten versehen ist dieser Raum in der üppigen Natur. Um das mit weißen Planen abgehangene Feldlabor schwirren – angezogen vom Licht – nun die heimischen Falter, als seien sie aufgeregte Gäste einer Regenwald-Vernissage.

„Longing for Landscape“ knüpft an die alte Sehnsucht nach Landschaftsbildern und Seestücken an. Die Ausstellung zeigt aber auch, dass die alte Vorstellung von Landschaft nur noch als Fragment aufzufinden ist. Eine leise Ausstellung mit tiefen Resonanzen.

Bis 1. 12. 2016, Tieranatomisches Theater, Philippstr. 12/13, Di–Sa 14–18 Uhr

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