piwik no script img

Vom bösen Bauen

KONTINUITÄT Er konnte plüschig und modern, und beides stellte er auch in Hitlers Dienste: Das Werk des Hamburger Architekten Cäsar Pinnau wird wissenschaftlich gesichtet – und ausgestellt

VON Hajo Schiff

Öffentliche Anerkennung wurde ihm lange verweigert, private erhielt er umso mehr. Ein Traditionalist und einst führender Naziarchitekt: So einer passte nicht so recht zur Nachkriegsmoderne. Doch wie vielseitig das Lebenswerk von Cäsar Pinnau ist, stellt sich rückblickend heraus: 28 Jahre nach dessen Tod richtet das Altonaer Museum dem Hamburger nun die erste größere Überblicksausstellung aus. Dabei wird nicht nur an die an Elbe und Alster zahlreichen Bauten erinnert, sondern auch der zeitgeschichtliche Kontext reflektiert.

420 Projekte, Um- und Neubauten listet der im Hamburgischen Architekturarchiv befindliche Nachlass auf: Das reicht von der Inneneinrichtung des Zeppelins LZ 129 „Hindenburg“ bis zur Villa in Hamburg-Blankenese, von der Gestaltung der japanischen Botschaft im Jahr 1942 und internationalen Fünfsternehotels in den 70er-Jahren bis hin zu Zweckbauten für eine Brauerei. Aber es gibt eben auch die Arbeiten für Hitler und Himmler.

Der 1906 geborene Pinnau selbst sah sich zeitlebens als jemand, der die Prinzipien des preußischen Architekten Schinkel hochhielt. Gerade der Bezug auf den Klassizismus freilich hat sich immer wieder ideologisch missbrauchen lassen: Die Nazis zitierten ihn ebenso gerne, wie später die DDR-Architektur, etwa in Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt.

In deutlicher, damals kaum zeitgemäßer Referenz an das 19. Jahrhundert nutzte Pinnau das ehemalige, 1803 an der Altonaer Palmaille gebaute Wohnhaus des klassizistischen Architekten C. F. Hansen (1756–1845) ab 1974 als sein Atelier. Auch bei der Mitarbeit an der Planung der Berliner „Nord-Süd-Achse“ durch Albert Speer fällt Pin­naus Beitrag durch konservative Elemente auf.

So verlockend die sehr großzügig bezahlten Visionen für einen jungen Architekten gewesen sein müssen, bleibt die Frage nach dem menschenverachtenden Größenwahn der Hitler’schen Planung. Es gibt dazu von Cäsar Pinnau keine Aussagen, es gibt ungewöhnlicherweise aber auch keine architekturtheoretischen Schriften von ihm.

Für die „besseren“ Kreise in den 50ern wurde er zu einem Lieblingsgestalter

Er hat sich stets als unpolitisch bezeichnet – und die Briten haben ihm das im Entnazifizierungsverfahren geglaubt. Eine angestrebte Professur an der damaligen Hamburger Landeskunstschule am Lerchenfeld wurde dem ehemaligen „beauftragten Architekt des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt“ allerdings 1945 verweigert. Öffentliche Aufträge bekam er nicht mehr, aber familiär in der Hamburger Gesellschaft gut vernetzt, konnte er zahlreiche Villen realisieren – auch seine eigene, 1950 an der Elbchaussee gebaut.

Es gibt bei Pinnau eine um alle Politik unbekümmerte Kontinuität: Der von ihm 1949 gestaltete Vorstandskonferenzraum der Hansa-Bank sieht nahezu genauso aus wie das 1937 eingerichtete Konferenzzimmer in Heinrich Himmlers „arisierter“ Dienstvilla – eine zumindest formale, vielleicht auch darüber hinausreichende Parallele, die für das Adenauer-Deutschland typischer ist, als meist zugegeben.

Für die „besseren“ Kreise in den 50er-Jahren wurde Pinnau jedenfalls zu einem Lieblingsgestalter: Er entwarf für Wirtschaftswunderbosse, für Oetker, Schliecker und Horten, ebenso wie für den internationalen Jetset – neben Villen, Büros und Fabriken auch Schiffe, wie die inzwischen zum Museum gewordene „Cap San Diego“. Der größte internationale Erfolg war sicher die Gestaltung und Einrichtung der „Christina“, der Privatjacht des Reeders und Multimillionärs Aristoteles Onassis; aber auch dessen Konkurrent Stavros Niarchos und der Scheich von Kuwait waren Pinnau-Kunden.

In seinen Entwürfen für die Firmenchefs referierte er auf die historischen Villen am Hamburger Elbufer. Doch so konservativ-großbürgerlich er im Privaten baute: Pinnaus zahlreiche Verwaltungs- und Industriebauten waren technisch und formal an der neuesten US-amerikanischen Moderne orientiert: Ein vorzügliches Beispiel ist das gerade erst denkmalgerecht restaurierte Hochhaus der Reederei „Hamburg-Süd“ (1958–64): eines der ersten seiner Art in Deutschland, mit Glasvorhangfassade und Klimaanlage. Sogar die Planungen für den von Onassis beauftragten „Olympic Tower“ in Manhattan gehen auf Pinnau zurück.

Stilistische Zweigleisigkeit, ein schwer kategorisierbares „sowohl als auch“ pflegte er schon in der Ausbildung: Für Inneneinrichtungen der 30er-Jahre schlug er zugleich Historisierendes und sachlichen Bauhausstil vor. Es dominieren Bauaufgabe und Bauherrenwünsche; die Fähigkeit, in verschiedenen Stilen bauen zu können, findet bei Pinnau nie zu einer ironischen Haltung oder einer zitierenden Vermischung.

Die Kollegen sahen in ihm vor allem den Traditionalisten, der sich partout nicht zur – angeblich nicht vom Nationalsozialismus kontaminierten – Nachkriegsmoderne bekennen wollte: Die bekannteren Nachkriegsarchitekten rechtfertigten sich stets damit, auch für das NS-Regime in modernen Formen gebaut zu haben – meist Fabriken allerdings, oft für die Rüstung. War das weniger Verstrickung ins System als Pin­naus Renaissance-artige Treppen und plüschige Sessel für die Neue Reichskanzlei?

Diese Frage beantwortet auch die materialreiche Ausstellung im Altonaer Museum nicht. Die Diskussion um die Spielarten von Herrschaftsarchitektur sowie Optionen, Wertungen und Werke einer ganzen Generation von Architekten, die vor und nach 1945 gebaut haben, findet ausführlich im Begleitbuch statt.

„Cäsar Pinnau. Zum Werk eines umstrittenen Architekten“: bis 26. März, Altonaer Museum, Museumstraße 23, Hamburg. Online-Dossier: pinnau.altonaermuseum.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen