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Archiv-Artikel

Wer hat an der Uhr gedreht?

ZEITMANAGEMENT Wachsende Anforderungen im Job führen schnell zu Stress und Überforderung. Dagegen lässt sich etwas tun: seine Zeit effektiver nutzen, um die eigenen Ziele leichter zu erreichen und gelassener zu sein

Lothar J. Seiwerts Zeit-Strategie

Freies Denken für alle Gehirne! Das konsequente Festhalten und Nachschlagen von Aufgaben lässt dem Hirn mehr Raum für kreative Ideen und vermeidet das Gefühl oder gar die Gewissheit, irgendetwas vergessen zu haben.

Prioritäten richtig setzen. Grundsatz: Das Dringende ist selten wichtig, und das Wichtige ist selten dringend.

Ziele schriftlich fixieren. Ihre ständige Präsenz motiviert. Große Ziele lassen sich durch Stückelung in Teilziele schrittweise einfacher erreichen. Häufigeres Abhaken motiviert – auch, sich neuen Aufgaben zu widmen.

Zeitfresser auf Diät setzen. E-Mail, Instant Messenger und Telefon sind großartig, lenken aber zu sehr ab. „Es ist Luxus, ständig und überall für jeden erreichbar sein zu wollen“, so Seiwert. Mails nur selten prüfen, Telefon einfach mal abschalten.

Nein sagen und delegieren lernen. Besprechungen und Zeit für eigenständige Arbeit sollten in Teams fest verabredet werden.

Pausen und Belohnungen. Das Gehirn will ständig belohnt werden (erst die Arbeit, dann das Vergnügen). Mehr noch: Es nutzt Standby-Zeiten, um sich mit Ungelöstem weiter zu beschäftigen. DC

VON DENNY CARL

Ein Tag hat 24 Stunden, das Tage-Großgebinde enthält bis zu 366 davon und wird als Jahr angeboten. Dieses Zeitmaß gilt für alle gleichermaßen – was man daraus macht, ist eine andere Frage. Was manchen als üppig erscheint, reicht den meisten nie. Beim Zeitmanagement geht es daher um bewusste und sinnvolle Entscheidungen im Umgang mit einer knappen Ressource, genauer: mit der eigenen, endlichen Lebenszeit.

„Die Zeit macht, was sie will. Wir können sie nur wohlfühliger gestalten“, stellt Lothar J. Seiwert fest, dessen Bücher (u. a. „Die Bären-Strategie“, „Wenn Du es eilig hast, gehe langsam“) viel ihrer Zeit in Bestsellerlisten verbringen. Er ist einer der bekanntesten europäischen Zeitmanagement-Lehrer. Er und seine Kollegen haben in den vergangenen Jahren immer mehr Bücherregale und Seminarräume gefüllt. Der Bedarf ist offenbar groß.

Zeitmanagement könnte auch Organisations- oder Prioritätenmanagement heißen, denn es geht weitestgehend um Techniken zum leichteren und schnelleren Erreichen eigener Ziele und dadurch zu mehr Lebensfreude und Gelassenheit. Dem Menschen sind diese Fähigkeiten leider nicht direkt ins Erbgut gemeißelt worden.

Der Begriff „Organisationstalent“ verrät die Außerordentlichkeit der Gabe, Dinge gut im Griff zu haben. Der moderne Alltag stellt jedoch mitunter so hohe Ansprüche, dass jeder ein Organisationstalent sein müsste. Zeitlicher und finanzieller Druck lauern überall. Die aktuelle Wirtschaftskrise tut ein Übriges. Dem Freiberufler droht die Projekt-Deadline, dem Humankapital sitzt das Zeitkapital im Nacken, der Student lernt Bologna kennen. Und wer möchte nicht auch noch Freizeit haben?

Hans-Werner Rückert, Diplom-Psychologe und Autor von „Entdecke das Glück des Handelns“, blickt bei seiner Arbeit als psychologischer Berater an der Freien Universität Berlin seit der Einführung des Bachelors immer öfter in überforderte Gesichter. Viele Studierende fühlen sich vom hohen Pflichtanteil ihres Studiums in Kombination mit Job und Privatleben überfordert. Techniken für effizientes, zielgerichtetes Arbeiten fehlen oftmals. Dass man „darüber in der Schule nichts lernt“, macht Rückert als eine der Hauptursachen aus.

Er rät seinen Studierenden, zunächst den Alltag über mehrere Wochen lückenlos zu protokollieren. Die Bestandsaufnahme soll Aufschlüsse über die persönliche Prioritätensetzung und die eigenen Organisationsfähigkeiten geben. Auf Basis der anschließenden Analyse und persönlicher Wünsche werden Ziele abgeleitet. Bei deren Umsetzung werden die Studierenden aktiv durch die Beratung begleitet, häufig hin zu einer merkbaren Verbesserung und neuer Zuversicht. Zeitmanagement kann funktionieren.

Das Skizzieren des Ist-Zustands ist der erste Schritt vieler Ansätze, die am üppigen Lebenshilfemarkt feil geboten werden. Das Definieren von Zielen der unbedingt erforderliche zweite. Doch auf dem Weg ins Paradies lauern gern seltsam klingende Hürden. Da ist von Pareto-Prinzip und ABC-Analyse die Rede. Die 5-6-7-Methode will angewandt werden. Und ohne 43 einzelne Ordner geht sowieso gar nichts, weder mit Schwalben- noch mit Fliegenblick. Der größte Online-Buchhändler listet derzeit 840 deutschsprachige Titel, die beim persönlichen Carpe diem helfen wollen. Literatur zum Zeitmanagement wird sicher bald noch mehr an Zuspruch gewinnen.

Die Zeit macht, was sie will. Wir können sie nur wohlfühliger gestalten

Bei der Lektüre helfen geringe Erwartungen und Lust am Ausprobieren verschiedener Angebote. Bei der Auswahl ist es nützlich zu wissen, ob man eher zur links- oder zur rechtshirnigen Edition des Homo sapiens gehört. Linkshirnige denken systematisch und passen gut zu den gängigsten Zeitmanagement-Ansätzen. Auch den impulsiven Rechtshirnigen reicht der Buchmarkt längst die Hände. Meist taucht dabei „Chaot“ im Buchtitel auf.

Eher etwas für linkshirnige Listen-Freaks ist das längst zum Kult erklärte „Getting Things Done“ (GTD) des US-Amerikaners David Allen. Es handelt sich um ein umfassendes Wiedervorlagesystem, das erst einmal verinnerlicht werden will. Längst gibt es massig passende Software für jedes erdenkliche Endgerät, hunderte zeitfressende Blogs und nicht wenige, „die sich nur noch um die Things kümmern, aber nicht mehr um das Done“, so Hans-Werner Rückert. GTD ist durchdacht, aber kein Allheilmittel.

Dies gilt für das Zeitmanagement im Allgemeinen. Ein auf Effizienz getrimmter Alltag kann fehlende Motivation durch falsche Berufs- oder Studienwahl nicht ausgleichen. Doch die Aussicht, mehr Freude im Job und mehr freie Zeit zu haben, sollte zumindest einen Versuch rechtfertigen, zum bewunderten Zeitmanager aufzusteigen.