Kritik der Woche: Karolina Meyer-Schilf über „Il barbiere …“: Belcanto in Bestform
Gioachino Rossinis Barbier gehört zu den beliebtesten Opern überhaupt – und wie bei allem, was früher oder später auf CDs landet, die „Best of Opera Hits“ oder ähnlich heißen, könnte man versucht sein, den „Barbier“ lediglich als Aneinanderreihung von Ohrwürmern ohne Tiefgang abzutun. Aber das stimmt natürlich nicht, jedenfalls nicht musikalisch.
Der Meister der italienischen Opera buffa benötigte nur zwei Wochen, um seinen „Barbier“ zu komponieren und hat eine erstaunliche Dichte an Ohrwürmern geschaffen, deren erster gleich die (allerdings recycelte) Ouvertüre ist. Herummäkeln könnte man nur an jenen Dingen, für die der Komponist nicht viel kann, zum Beispiel am Libretto. Im Vergleich zu Mozarts und Da Pontes „Figaro“, der fast 30 Jahre zuvor uraufgeführt wurde, fehlen politische Aussagen hier weitgehend.
Stattdessen das übliche Verwirrspiel: Im Zentrum steht eine Liebesgeschichte zwischen Rosina und ihrem Geliebten, dem Grafen Almaviva alias Lindoro. Darum herum gruppieren sich der grimmige Vormund Don Bartolo, meisterhaft verkörpert von Patrick Zielke, Musiklehrer, Notar, Hausangestellte und der findige Friseur, der alles rettet. Um das mehrere Stunden trotz mitreißender Musik bei offenen Augen durchzuhalten, braucht es – einen „Regie-Einfall“. Und davon hat Michael Talke zum Glück jede Menge. Der beste heißt im echten Leben Guido Gallmann, stellt sich formvollendet vor („Sie kennen mich nicht. Ich bin ein Regie-Einfall.“) und führt als Conferencier durch den Abend.
Dass er damit dem Publikum die langatmigen Rezitative erspart und durch humorvoll-zugespitzte Seitenhiebe auf Genre, Handlung und Figuren ersetzt, ist nur einer der Vorteile dieser Idee. Wenn er etwa, wie kurz vor Schluss, „einen der größten Showstopper des 19. Jahrhunderts“ ankündigt, dann tut diese ironische Distanz der Handlung durchaus gut – und übertrieben ist es auch nicht: Immer wieder gibt es begeisterten Szenen-Applaus. Überhaupt: Das ganze Ensemble war in Hochform, nicht nur gesanglich, sondern auch schauspielerisch.
Musikalisch war an diesem Abend ohnehin alles bestens: Die Bremer Philharmoniker lieferten unter ihrem Dirigenten Olof Boman beschwingte Präzision, der Neuzugang Birger Radde überzeugt als listiger Figaro mit Porno-Bart. Das Bühnenbild von Barbara Steiner ist schlicht, aber wirkungsvoll, und die bauschigen Kostüme von Regine Standfuss, mit denen das Ensemble wie kleine dicke barocke Tanzbären schwerfällig und unbeholfen über die Bühne kullert, fantastisch. Diese Inszenierung ist ein sensationell lustiger musikalischer Hochgenuss.
Wieder am 30. Oktober, 18.30 Uhr, und am 2. und 4. November, 19.30, Theater am Goetheplatz
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