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„Jeden verdammten Tag“

Familie Natürlich kann man mit Kindern kochen. Nur hat das nicht mehr so viel mit dem zu tun, was man früher in der Küche tat, erzählt taz-Kolumnistin Katrin Seddig

Als ich Kind war, hat in der Familie hauptsächlich ein Mensch gekocht, die Mutter. In unserer Familie war das ebenso, nur wenn meine Mutter nicht da war, kochte mein Vater Bratkartoffeln oder Lungenhaschee. Ich weiß nicht, ob er auch mehr Gerichte konnte, ich glaube nicht. Meine Mutter kochte auf eine schnelle, praktische Art, sie würzte mit Salz und Pfeffer. Sie benutzte eigentlich keine Kräuter. Sie stand unter dem Druck, das Gemüse aus dem Garten zu verbrauchen, weshalb es längere Gurkenzeiten gab oder jeden Abend Tomatensalat.

Meine Mutter hatte ungefähr zwanzig Gerichte drauf, die kochte sie abwechselnd, Kochbücher verwendete sie nicht. Jedes Gericht dauerte ungefähr eine halbe Stunde in der Vorbereitung und noch eine halbe, bis die Kartoffeln gar waren. Sie beauftragte uns selten, ihr dabei zu helfen, und das erst, als wir in einem Alter waren, in dem wir das auch konnten. Dann mussten wir Kartoffeln schälen. Was anderes haben wir unserer Mutter beim Kochen nie geholfen und das taten wir auch nicht richtig. Wir schälten die Kartoffeln niemals so, wie sie sie hätte schälen können. Damit uns das klar war, sagte sie es uns. Auch deshalb waren wir nicht besonders scharf darauf, ihr zu helfen.

Warum meine Mutter keine Lust hatte, mit uns zusammen zu kochen, ahnte ich später, als ich eigene Kinder hatte. Wenn Kinder klein sind, wollen sie nämlich sehr gern bei allem helfen. Besonders gern wollen sie beim Kochen helfen. Alles was mit Essen zu tun hat, erscheint Kindern sehr verlockend. Wenn man diese kleinen Kinder dann zum Beispiel ein paar Möhren schnippeln lässt, ist das so: Sie arbeiten an der Möhre und wenn sie nach einer Stunde halb zerschnitten ist, dann müssen sie auf die Toilette, von wo sie nicht zurückkehren, weil sie sich festgesessen haben. Man darf aber dann ihre Arbeit nicht fortführen, weil sie sonst weinen. Das ist nur ein Beispiel für die Verzögerung beim Kochen mit Kindern. Manchmal schneiden sie sich auch in den Finger und manchmal werden sie sehr wütend, weil man ihnen immer (immer!) die schwierigste Arbeit zuteilt. Deshalb muss man entspannt sein, wenn man mit kleinen Kindern zusammen kocht und man muss Zeit haben. Aber auch, wenn man sich dieser pädagogisch wertvollen Anforderung regelmäßig stellt, verschwindet das Interesse an häuslicher Arbeit ungefähr mit der Vorpubertät.

Ein vorpubertäres Kind weiß inzwischen, dass die Hausarbeit keinen Spaß macht. Es kocht, wenn, dann lieber alleine, weil es auch weiß, dass es allenfalls als Hilfskoch fungieren darf. Ein pubertäres Kind lässt sich dann vielleicht herab und tut den Eltern den Gefallen, mit ihnen zu kochen. Es schnibbelt lässig ein paar Gemüsestücke, starrt dabei mit einem Auge auf sein Handy, sagt dann: „Reicht das jetzt?“ und verdrückt sich.

Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Als ich selbst in der Pubertät war, kochte ich nicht gern, aber ich buk gern. Es lag vielleicht auch daran, dass mir süße Sachen besser schmeckten als Gemüse. Auch meine Schwestern und meine Freundinnen buken gern. Wir buken lauter kleine, süße, fette Gebäcke. Einen ähnlichen Trend beobachte ich an meiner Tochter. Sie wälzt nur keine Backbücher mehr, sie kocht nach Youtube-Tutorials, in denen verblüffendste Materialien verwendet werden und absonderlichste Sachen entstehen. Manchmal juckt es mich, ihr zu sagen, dass das nichts wird, was sie da vorhat. Aber ich erinnere mich an diesen Erziehungsfehler meiner eigenen Mutter und halte den Mund. Eltern sollten einen nicht vor Fehlern bewahren, außer, die wären tödlich.

Jedenfalls, ich habe mir immer eine heitere Familie gewünscht, in der alle am großen Küchentisch stehen und gemeinsam Wein trinken, über das Leben reden, lachen und große Familienessen kochen. Jetzt scheitert das schon an meiner Küche. In meiner Küche ist es für zwei Personen zu eng. Aber ich ahne inzwischen, dass es diese heitere Familie nicht gibt. Einmal erzählte mir eine Freundin, dass sie am Abend, nach der Arbeit, vor dem geöffneten Kühlschrank in Tränen ausgebrochen wäre. Ich weiß, wie es ihr ging. Ich koche seit 18 Jahren jeden verdammten Tag ein warmes Essen, an manchen auch zwei. Bevor ich Mutter wurde, kochte ich, wenn ich Lust und Hunger hatte, also irgendwann, zu irgendeiner beliebigen Tageszeit und schon gar nicht jeden Tag.

Nachdem ich Mutter geworden war, fühlte ich mich verpflichtet, den Kindern ein Essen zu kochen. Schon Gläschen aufzuwärmen war verpönt. Man kochte und pürierte das Gemüse selbst. Man kochte dazu dann noch ein Essen für sich und den Mann, der ja arbeitete, während man mit den Babys zu Hause rumhing. Essen ist wichtig. Und zu keiner Zeit ist Essen, das richtige, gute Essen, so wichtig gewesen, wie jetzt. Gab es jemals so viele Kochsendungen, Kochbücher, Kochblogs, Kochshows, Kochevents, Kochschulen und Kochtipps? Stand Kochen jemals so im Fokus, war es jemals so in wie jetzt? Und wurden jemals so hohe Anforderungen an den richtigen Einkauf, die richtige Zubereitung von Essen gestellt? Was ich sagen will, meine Mutter hatte einfach keine Lust auf Kochen, schon gar nicht hatte sie Lust auf Kochen, erschwert durch Hilfe von Kindern. Sie war erschöpft. Sie wollte es sich nicht noch schwerer machen. Ich hatte auch sehr oft keine Lust auf Kochen, ich hasste es. Ich hasste es fast genauso wie Putzen und Abwaschen. Aber jetzt sehe ich Licht.

Ich habe mir immer eine heitere Familie gewünscht, in der alle am großen Küchentisch stehen und gemeinsam Wein trinken, über das Leben reden, lachen und große Familienessen kochen. Jetzt scheitert das schon an meiner Küche

Die Kinder sind in einem Alter, in dem sie, wenn man es ihnen aufträgt, selber ein Essen zubereiten können. Oder man kann am Wochenende sagen, sie sollen sich irgendwo was vom Imbiss holen. Sie sind fast ausgewachsen und ihre Knochen werden nicht gleich porös werden. Nehme ich an. Und das allerschönste ist, und das ist noch viel schöner, als mit ihnen zu kochen, sie loben mein Essen! Seit sie sich ab und an selbst versorgen müssen, schätzen sie es. 18 Jahre undankbaren Zwangskochens, da schluchzt meine Seele auf.

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