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Archiv-Artikel

Die Schlachtfelder in den Städten

DROGENTERROR Der Autor John Gibler schildert in „Sterben in Mexiko“, unter welchen Bedingungen mexikanische Reporter oder Aktivisten leben, deren Alltag von Soldaten, Polizisten oder Drogenkartellen kontrolliert wird

VON WOLF-DIETER VOGEL

Salomón Monárrez glaubte nicht mehr daran, dass er diesen Moment überleben würde. Am frühen Morgen kam der Mann, der ihn ermorden sollte, und feuerte mehrere Kugeln auf den 59-Jährigen ab. Doch als sich der Pistolero vor Monárrez aufbaute, um ihm den Gnadenschuss zu verpassen, klemmte die Pistole und der Angreifer zog sich zurück.

„Der Killer hielt mich für tot“, erinnert sich der Mexikaner und erklärt dem Autor John Gibler, warum man ihn habe töten wollen. „Der Anschlag galt zweifellos unserer Arbeit“, sagt er und berichtet von seiner Organisation, die sich im nordmexikanischen Bundesstaat Sinaloa um die Aufklärung mehrerer Morde kümmert, die von Soldaten begangen wurden.

Angriffe wie dieser gehören zum mexikanischen Alltag. Einige von ihnen hat der US-Amerikaner Gibler in seinem Buch „Sterben in Mexiko“ dokumentiert. Er schreibt über Menschen, die ständig mit dieser Gewalt leben müssen: Aktivisten wie Monárrez, Angehörige von Opfern des sogenannten Drogenkriegs, vor allem aber Journalistinnen und Journalisten, die häufig noch vor den Polizisten und den Sanitätern am Tatort sind.

Features wie die über Pressefotografen in der gefährlichen Grenzstadt Ciudad Juárez oder Reporter in der Mafia-Hochburg Culiacán dominieren in seinem Buch. So etwa die Erlebnisse von „Rafael“, der während seiner Recherchen von Mitgliedern des Golf-Kartells verschleppt wurde und nur knapp dem Tod entrinnen konnte. Oder die Geschichten von Ernesto Martínez, der als Fotograf die Kriminalberichterstattung der Lokalzeitung Primera Hora bebildert und fast täglich die Leichen auf den Straßen von Culiacán dokumentiert.

Dem Autor gelingt es, entlang des Reporteralltags Probleme anzusprechen, von denen das gesamte gesellschaftliche Leben in den Städten im Norden Mexikos gezeichnet ist. Wie alle leiden auch die Presseleute darunter, dass der Alltag von Soldaten, Polizisten oder den Kartellen kontrolliert wird. Frei bewegen können sich Journalisten längst nicht mehr, zunehmend bestimmt die Mafia mit Hilfe knallharter Drohungen, was in Blättern wie der Primera Hora steht.

In gleicher Weise wie in der Presse, so macht Gibler deutlich, dominieren die Kriminellen die Straßen nordmexikanischer Städte wie Monterrey, Ciudad Juárez oder Reynosa. „Das Schlimmste ist, dass nicht nur so viele sterben, sondern dass die Narcos uns allen allein eine Lebensweise aufzwingen“, zitiert er einen Journalisten. „Wir haben bereits die öffentlichen Parks und die Parkbänke den Narcos überlassen.“

Während Gibler in seinen Features die mexikanische Wirklichkeit in erster Linie durch die Brille von Pressevertretern erfasst, geht er in anderen Teilen seines Buches auf die komplexen Hintergründe des Krieges ein: auf die verfehlte US-Strategie gegen den Drogenanbau, die Bedeutung von Mafiageldern auf internationalen Kapitalmärkten, die Geschichte des mexikanischen Opiumanbaus, aber auch auf die Friedensbewegung und den diskriminierenden Umgang mit den Opfern. „Schon die Tatsache deiner Hinrichtung spricht gegen dich und ist ein Hinweis auf deine Schuld“, schreibt der Autor, der selbst jahrelang in mexikanischen Menschenrechtsorganisationen tätig war, über die Stigmatisierung zahlreicher Männer und Frauen, die in diesem Krieg ermordet wurden.

Giblers Konzentration auf die Szenarien städtischer Schlachtfelder verwehrt jedoch den Blick auf den Gesamtkomplex des Krieges. Indigene und Kleinbauern, die wegen des Terrors der Kartelle und der Mobilmachung des Militärs aus ihren Dörfern flüchten müssen, kommen nicht vor. Migrantinnen und Migranten, die von Kriminellen in Zusammenarbeit mit Polizisten und Beamten ausgeraubt, erpresst und ermordet werden, erscheinen nur am Rande.

Hier zeichnet das aus dem Englischen übersetzte Buch, das ein weiteres Lektorat verdient hätte, ein etwas reduziertes Bild vom „Sterben in Mexiko“. Auch wenn Gibler den Fokus in seinen Analysen erweitert, täuscht sein großes Augenmerk auf Drogen und städtische Killer darüber hinweg, dass der Krieg längst zu einem Angriff auf die gesamte Bevölkerung geworden ist, in dem das Geschäft mit Opium und Marihuana nur noch eine zweitrangige Rolle spielt.

John Gibler: „Sterben in Mexiko. Berichte aus dem Inneren des Drogenkriegs“. Dt. v. Norbert Hofmann. Edition Tiamat, Berlin 2012, 192 Seiten, 16 Euro