: Endlosschleife und Manie
Der Beifall in der Bochumer Jahrhunderthalle war freundlich, aber verhalten. Regie-Altmeister Hans Neuenfels und seine Uraufführung von „Schumann, Schubert und der Schnee“ bei der RuhrTriennale
AUS BOCHUMREGINE MÜLLER
Als „Altrocker“ hatte Triennale-Intendant Jürgen Flimm seinen Freund Hans Neuenfels vorgestellt, und damit wohl auch der Hoffnung Ausdruck verliehen, der Großmeister der quer denkenden Opernregie möge der Triennale einen markanten Abschluss garantieren. Neuenfels, der jüngst von der „Opernwelt“ zum „Regisseur des Jahres“ gekürt wurde, hat sich mit „Schumann, Schubert und der Schnee“, der letzten „Kreation“ dieser Triennale-Saison weniger in den Schnee als viel mehr auf dünnes Eis begeben. Aus 34 Liedern von Robert Schumann und Franz Schubert und einer fiktiven Rahmenhandlung montiert Neuenfels als Librettist und Regisseur in Personalunion ein Musiktheater, das er „Oper für Klavier“ nennt. Er verbeißt sich dabei in die Frage, was passiert wäre, wenn sich die beiden Komponisten, deren Lebenswege unterschiedlicher nicht sein könnten, jemals getroffen hätten: Schubert, der halt- und mittellose Bohèmien und der in bürgerlichen Verhältnissen lebende, vom Wahnsinn bedrohte Schumann. Hätten sie ein Gesprächsthema gefunden? Vielleicht die gemeinsame Syphilis-Erkrankung oder die homoerotischen Neigungen? Oder gar die nimmer heilende Wunde Romantik? Neuenfels spekuliert weiträumig und verordnet den handelnden, eher ferngesteuerten Personen psychologische Kreisbewegungen von Anziehung und Abstoßung.
Auf schmaler, lang gezogener Spielfläche, an drei Seiten vom Publikum umgeben, geistert auf mit weißen Blättern übersätem Boden romantisch angekränkeltes Personal in fahlem Licht umher. Der große Bariton Olaf Bär singt und spielt Schumann und ist ewig außer sich. Schuberts schwer zu fassende Figur wird vorsichtshalber aufgespalten in zwei Personen, den Singenden (Xavier Moreno) und den Schauspielenden (Ludwig Blochberger), somnambul huscht als Schumanns Gattin Clara die Schauspielerin Elisabeth Trissenaar durchs karge Bild, vier schwule Freunde Schuberts steuern als überspannte Boygroup pastelliges Flair bei. Mal gruppiert der Regisseur das Personal zu lebenden Bildern, dann wieder choreographiert er an Ausdruckstänze erinnernde Szenen. Als Einzelkämpfer haben die Darsteller die Wahl zwischen katatonischer Starre und manischem Bewegungszwang. Das setzt insbesondere die fabelhaften Sänger unter peinigende Hochspannung, die sich nicht immer in Intensität entlädt. Manche dramatische Geste wirkt derart unter Strom gesetzt auch unfreiwillig komisch. Wenn Bär vom Flug des Ikarus singt und im sich blähenden Künstlermantel Flatterbewegungen vollführt, wünscht man sich glatt zurück in den Konzertsaal mit Frack und Lackschuh.
Neuenfels‘ Libretto bedient sich authentischer Zeugnisse, lässt sich aber über weite Strecken gern im Assoziativen treiben. Es kreist schließlich in Endlosschleifen um die immer gleiche Pein. Die Lieder inszeniert er zumeist als Botschaften, die sich die Komponisten gegenseitig zustellen, aber einige Male auch als veritable Kurzopern mit nachgestellter Handlung. Je abstrakter es dabei zugeht, desto besser, je mutiger Neuenfels in die Substanz der Lieder eingreift – wenn er etwa den erotischen Rausch von Schuberts „Gretchen am Spinnrad“ durch Schumanns lakonisches „Anfangs wollt ich fast verzagen“ unterbrechen lässt – desto schlüssiger. Erhellend die Passagen, wo die Schauspieler einzelne Strophen übernehmen, oder in Refrains einfallen. Jede Verfremdung wird zum Gewinn, jede konkrete Bebilderung zu Kitsch. So sind Eis und Schnee in Schuberts „Erstarrung“ leicht zu lesende Metaphern seelischer Zustände, aber sicher kein Fall für den Boygroup-Winterdienst.
19:30 Uhr, Jahrhunderthalle BochumInfos: 0700-200234 56