Kalt erleuchtet ins Ungewisse

Konzert Die britische Sängerin Holly Låpsley betört die Fans bei ihrem Auftritt im Berghain am Donnerstagabend mit sprödem Pop

Die Offenheit tut wirklich gut: Låpsleys Album „Long Way Home“ ist einer gescheiterten Beziehung gewidmet

Eine junge Frau, die gern segeln geht. Die sogar schon ihr eigenes Boot hat! Eine wirklich junge Frau – Anfang August ist sie 20 Jahre alt geworden –, die sich seit Langem auf diesen Abend gefreut hat, auf ihr erstes Konzert im Berghain, im Mekka der elektronischen Tanzmusik, dessen Ruf auch bis an die schottische Grenze vorgedrungen ist. Denn da oben in Nordengland wohnt sie, daher kommt sie: Die Britin Holly Lapsley Fletcher, die sich nach dem Mädchennamen ihrer Mutter den Künstlerinnennamen Låpsley gegeben hat, mit skandinavischem kleinem o auf dem a, um der Kühle und Sprödigkeit ihrer Musik noch eine zusätzliche Note zu geben.

Die U-Boot-Besatzung

Sie erschien am Donnerstagabend in einem nachthimmelblauen Hosenanzug, der ungefähr das Gegenteil von figurbetont war, und drei Begleitmusikern, die mit ihren Strickmützen wie eine U-Boot-Besatzung aussahen, auf der Bühne im oberen Werkraum des Kraftwerks in Friedrichshain. Kann sein, aber das ist nur eine Mutmaßung, dass sie hier zum ersten und letzten Mal aufgetreten ist. Nicht weil sie es nicht konnte oder nicht mehr können wird.

Im Gegenteil: Weil sie bald zu groß sein könnte, zu groß für diesen immer noch subkulturell-cool aufgeladenen Raum. Ihre Musik ist zwar so eiskalt wie ein an der Mündung des Mersey vorbeitreibender Eisberg, gleichzeitig aber eben auch: äußerst mainstreamorientiert. Nicht im Sinne von massenkompatibel, dies dann doch nicht, aber vorstellbar als Beschallung für Modeboutiquen, Fi­lialen von Kaffeehausketten, Eisdielen in Shoppingmalls. Und Låpsleys Auftritt, das lässt sich sagen, hätte so auch im Fernsehen irgendwo zwischen Showprogramm in der Primetime-Show und Special Guest in der Late Nite stattfinden können.

Schuld daran ist weniger die Kleidung, in der diese Musikerin auftritt, als ihre Musik selbst. Die Kleidung hat Låpsley nämlich hierhergebracht: Kühle Arrangements, Sonartöne, perfekt dissonante E-Beats, die von ihren Seeleuten an diesem Abend punktgenau nachgeklöppelt wurden. Dazu mag es Låpsley, sich selbst mit einer irgendwie männlich wirkenden Geisterstimme zu begleiten. Insgesamt haben die Tracks ihres Debütalbums „Long Way Home“ (paradoxer Titel für einen Aufbruch ins Ungewisse) aber eben mächtig zu viel E-Piano und sind sich schnell selbst zu ähnlich. Kann man Soundidentität nennen oder auch Langeweile. Sprödigkeit.

Andererseits ist das Setting für mindestens diesen Abend interessant, weil auch ambivalent. Låpsley personifiziert das schon selbst: Eine engagierte Frau mit dem Habitus einer Tochter aus „guten“ Verhältnissen, im Abendkleid, mit Ohrringen, die jeden Kristallleuchter schmücken würden; die in den Ansagen mit dem Publikum sehr auf Augenhöhe ist, selbstbewusst, keck, vulgär.

„Meet you in the Darkroom“, sagt sie nach der launigen Zugabe („Operator“), mit der sie sich bei der queeren Community sehr beliebt gemacht hat. Auch die Offenheit tut gut: Das Album sei einer gescheiterten Beziehung gewidmet, und natürlich fragt man sich, wer wohl der Exfreund oder die Exfreundin sein mag, der oder die sich sehr grämen wird nach dem Erfolg dieser musikalischen Verarbeitung.

„Hurt Me“ heißt, neben „Station“, Låpsleys schönster Hit. „So if you’re gonna hurt me / Why don’t you hurt me a little bit more?“, singt sie darin, während im Hintergrund ein auf der Spitze stehendes Dreieck als Bühnendeko aufleuchtet. Das Stück hallt dann noch eine Weile nach in diesen Hallen und auf dem Weg durch das kalt erleuchtete Berlin. René Hamann