: „Ich kann pausenlos in Bewegung sein“
Marcelinho wurde mit „einer gewissen Begabung geboren“ – sagt der Hertha-Star selbst. Im Gegensatz zu vielen Deutschen hätten Brasilianer keine Angst, einen Fehler zu machen. Im hiesigen Fußball werde hingegen alles sehr ernst genommen
INTERVIEW JOHANNES KOPP
taz: Herr do Santos, Sie sind von ihren Bundesligakollegen letzte Spielzeit zum Spieler der Saison gewählt worden. Was bedeutet das für Sie?
Marcelinho: Das hat mich emotional sehr berührt. Es ist nicht einfach, diese Wahl zu gewinnen, weil es viele hervorragende Spieler in der Liga gibt. Außerdem freut mich an dem Erfolg, dass ich mich als Ausländer durchsetzen konnte.
Wen haben Sie denn gewählt?
Ich war zu der Zeit in Brasilien. Wenn ich da gewesen wäre, hätte ich Lincoln von Schalke gewählt. Ich bewundere seine Art Fußball zu spielen. Auch Michael Ballack vom FC Bayern schätze ich sehr. Aber es ist schwierig abzuwägen, wer der Beste ist. Jeder Spieler hat seine Eigenheiten, die sich mit denen der anderen Spieler schwer vergleichen lassen.
Wie sind Sie zu dem Spieler geworden, der Sie heute sind?
Mit einer gewissen Begabung bin ich geboren worden. Daran habe ich dann gearbeitet. Dazu muss man seine Qualitäten erkennen. Ich habe zu Beginn meiner Karriere festgestellt, dass ich das Vermögen habe, pausenlos in Bewegung zu sein. Das war eine Fähigkeit, die ich zuvor nicht so wahrgenommen habe und auf die ich im Training dann mein Augenmerk gelegt habe. Und ich habe die Qualitäten meiner Schusstechnik bei Freistößen und Flanken erkannt und sie stetig verbessert. Ich habe sehr hart trainiert, weil ich unbedingt den Durchbruch schaffen wollte. Denn ich stamme aus einer sehr bescheidenen Familie.
Im Jahre 2001 gelang Ihnen mit der Berufung in die brasilianische Nationalmannschaft der Durchbruch. Wie sind Sie dort aufgenommen worden?
Gut. Als ich ankam, war ich nervös und sehr schüchtern. Doch schon nach zwei, drei Tagen habe ich mich sehr wohl gefühlt. Mir hat der starke Zusammenhalt der Gruppe gefallen. Alle waren sehr fröhlich und lebhaft.
Warum geht es in der brasilianischen Nationalmannschaft fröhlich und locker zu, obwohl so viele gute Spieler wie nirgendwo sonst um einen Platz in der ersten Elf kämpfen?
Wenn wir Brasilianer Fußball spielen, sind wir immer locker und haben viel Spaß. Wir versuchen schwierige und freche Dinge zu tun, zum Beispiel jemanden zu tunneln. Dabei haben wir keine Angst, einen Fehler zu machen. Das unterscheidet sich sehr vom deutschen Fußball. Hier wird alles viel ernster genommen.
Und aus der Konkurrenzsituation entstehen keine Reibereien?
Die Konkurrenz existiert natürlich. Auf meiner Position können Ronaldinho, Kaka und Robinho spielen und noch viele talentierte Spieler mehr. Es wird schwer, in den Kader zurückzukommen. Doch deshalb gibt es keine Konflikte. Wir respektieren uns gegenseitig.
Sie rechnen sich trotz der schwierigen Situation noch Chancen für die WM aus?
Ja, bis dahin kann noch viel passieren. Bei der letzten WM wurden kurz vor Schluss auch zwei, drei Neue in den Kader berufen, die bei der Qualifikation nicht dabei waren. Ich denke, wenn unser Trainer Carlos Alberto Parreira seine 22 Spieler für die WM in Deutschland nominiert, wird es wieder zwei, drei Überraschungen geben.
Sind Sie im telefonischen Kontakt mit Herrn Parreira?
Nein, in Brasilien wird das nicht so wie in Deutschland gehandhabt. Es kommt selten vor, dass ein Spieler Kontakt zum Nationaltrainer hat. Diejenigen, die im Kader sind, ruft Herr Parreira normalerweise auch nicht an.
Haben Sie überhaupt schon einmal mit Alberto Carlos Parreira gesprochen?
Ja, schon zwei Mal, zuletzt vor gut einem Jahr beim Freundschaftsspiel Brasiliens in Deutschland. Er hat mich zu meinen Leistungen und meiner Popularität in Berlin beglückwünscht und mir gesagt, die Türe stehe offen, ich hätte eine Chance, nominiert zu werden.
Wollen Sie nach fünf Jahren Berlin ohne Champions-League-Teilnahme nicht zu einem Verein wechseln, der jedes Jahr an dem Wettbewerb teilnimmt, wie der FC Bayern München?
Ein Wechsel kommt generell nur in Frage, wenn ein sehr guter Verein anfragt. Die Konstellation und das Angebot müssen gut für mich und Hertha sein.
Für Hertha wäre es schlecht, wenn sie Berlin nach Ablauf ihres Vertrages 2007 ablösefrei verlassen. Wechseln Sie deshalb Ende dieser Saison den Verein?
Wenn Hertha Geld für mich will, müssen wir darüber reden. Ich bin glücklich hier und möchte meinen Vertrag bis 2007 erfüllen. Es ist nicht meine Sorge, ob Hertha Ablöse für mich erhält.
Im Gegenteil. Sie würden doch wiederum viel Geld von einem Verein erhalten, der sie ablösefrei verpflichten kann?
Daran habe ich auch schon gedacht. Aber darüber will ich jetzt nicht spekulieren.