: In der Steinzeit
Griechenlands Chancen, an der WM teilzunehmen, sind nach dem 0:1 in Dänemark nur noch theoretischer Natur
KOPENHAGEN taz ■ Otto Rehhagel saß wie ein Musterschüler auf dem Podium, die Krawatte war vorbildlich gebunden, der Rücken kerzengerade, die Hände unter dem Tisch gefaltet. Im aufdringlichen Licht der Scheinwerfer schimmerten ein paar Schweißtropfen auf seiner Stirn. Er lächelte nicht, er wirkte auch nicht betroffen. Mehr als hundert Journalisten schubsten sich vor dem Nationaltrainer Griechenlands hin und her und achteten auf jedes Wort. Nur zehn Minuten sollte die Pressekonferenz dauern, nachdem die Griechen im Parken Stadium 0:1 gegen Dänemark verloren hatten.
Rehhagel, 67, wollte keine Regung zeigen, kein Signal der Schwäche. Er wich den Fragen aus. Rehhagel bemühte sich, die Zuhörer im Ungewissen tappen zu lassen. Er wollte einiges erzählen, aber nichts sagen – gelungen ist ihm das nicht. Es mehren sich die Eindrücke, dass er seinen Vertrag, der Ende dieses Jahres ausläuft, nicht verlängern wird. Denn das wichtigste Argument für die Fortsetzung seiner Arbeit ist am Samstag in Kopenhagen verloren gegangen: Der Europameister wird wohl nicht an der WM teilnehmen, das hat 1978 schon die Tschechoslowakei fertig gebracht und 1994 Dänemark. Griechenland ist in Gruppe zwei der Qualifikation mit 18 Punkten hinter Dänemark (19) auf Platz vier zurückgefallen. Nur wenn die Türkei (20) am Mittwoch im letzten Spiel in Albanien verliert und Dänemark in Kasachstan nicht gewinnt, können die Griechen die Relegation erreichen – ein Heimsieg gegen Georgien vorausgesetzt. Allerdings ist diese Konstellation so wahrscheinlich wie ein Stepptanz Rehhagels im Mittelkreis.
Damit endet vermutlich eine vierjährige Ära. Siebenmal haben die Griechen in den vergangenen acht Spielen nicht gewonnen, nur zwei Tore sind ihnen in dieser Zeit gelungen. Die Gründe dafür wurden am Samstag offensichtlich. Wieder hatte Rehhagel eine Torverhinderungsformation aufgeboten. Zisis Vryzas, der einzige Stürmer, wirkte unter den dänischen Innenverteidigern wie ein Reh in der Elefantenhorde. „Nicht eine Torchance brachten die Griechen zustande“, beobachtete Dänemarks Coach Morten Olsen. Stattdessen spielten sie einen Fehlpass nach dem anderen. Der Siegtreffer der Dänen durch den Kopfball des Verteidigers Michael Gravgaard (40.) war nur eine Frage der Zeit. Und es war Torhüter Antonios Nikopolidis zu verdanken, dass Dänemark nicht höher gewann. „Wir sind nicht in Kopenhagen ausgeschieden, sondern zu Hause“, sagte Rehhagel. Gemeint war das 0:0 gegen die Türkei und das 0:1 gegen die Ukraine.
Fünfzehn Monate nach dem EM-Sieg hat sich der griechische Fußball wieder dort eingenistet, wo er vorher war: in der Steinzeit. Viele Millionen Euro gehen nun verloren, die der klamme Fußballverband gut hätte gebrauchen können. Otto Rehhagel ist daran nicht schuldlos. Wie nach dem überraschenden Gewinn der Deutschen Meisterschaft mit Kaiserlautern 1998 schaffte er es nicht, für Kontinuität zu sorgen. Er reduzierte die Kommunikation mit der Öffentlichkeit auf ein Minimum. Statt in schweren Zeiten Harmonie zu schaffen, zog er sich zurück, das war vor dem Spiel in Kopenhagen nicht anders. Er hielt es nicht für nötig, seine Entscheidungen zu erklären, und so erarbeitete er sich auch in Hellas den Status eines Missverstandenen.
Dem Team fehlt es an Qualität. Längst sind Spieler, die nach der EM mit Herzklopfen in alle Ecken Europas ausgeschwärmt waren, ernüchtert zurückgekehrt: Dellas zum Beispiel, der bei AS Rom unerwünscht war und inzwischen beim AEK Athen Zuflucht gefunden hat. Andere Spieler sammeln ihre Spielpraxis ausschließlich in der Nationalmannschaft. Angelos Basinas, der bei Panathinaikos Athen wegen Differenzen mit dem Präsidenten nicht mehr zum Einsatz kommt, oder die Dauerreservisten Zisis Vryzas (AC Florenz) und Georgios Karagounis (Inter Mailand) erhielten in Kopenhagen verantwortungsvolle Aufgaben – sie waren ihnen nicht gewachsen. Rehhagel hat es zudem verpasst, die betagte Elf von 2004 zu verjüngen. Dieser Tunnelblick bescherte ihm in der Vergangenheit gute Aussichten, jedoch nicht in diesem Jahr. Das Durchschnittsalter der griechischen Startelf lag in Dänemark immerhin bei 29,4 Jahren. Die Erkenntnis, dass Otto Rehhagel kein Liebhaber der Fußballmoderne ist, ist nicht neu. Seine Lust wird sich in Grenzen halten, die Nationalmannschaft zu neuen Ufern zu führen.
Zur EM 2008 in Österreich und der Schweiz wäre er fast 70. Ob er andere Herausforderungen sucht und sich noch etwas beweisen muss? „Ich muss niemandem etwas beweisen“, entgegnete Rehhagel, „nur meiner Frau.“ RONNY BLASCHKE