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Neue Welle für freien Funk

MEDIEN Seit Anfang September hat das Freie Radio Neumünster in Schleswig-Holstein eine UKW-Zulassung. Weitere nicht-kommerzielle Sender sollen folgen, etwa in Flensburg

Unerlässlich für den Empfang von freiem, wie kommerziellem Rundfunk: der Radio Foto: Jordan Banasik/Wikimedia

von René Martens

So pompös es klingen mag: Rundfunkhistorisch gesehen ist 2016 ein besonderes Jahr für das Land Schleswig-Holstein. Anfang des Monats hat die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein dem Freien Radio Neumünster eine UKW-Zulassung erteilt – eine Premiere, denn bisher war Schleswig-Holstein ein weißer Fleck auf der Landkarte der nicht-kommerziellen Lokalradios. Und das erste kommerzielle lokale Hörfunkprogramm ging auch erst vor rund einem Vierteljahr an den Start: der Inselsender Syltfunk.

Möglich wurde die Einführung des lokalen Hörfunks dank der fünften Novelle des Medienstaatsvertrags zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg, die am 1. Januar 2015 in Kraft trat. Über die Rolle eines Stiefkindes kommt der nicht-kommerzielle Lokalfunk (NKL) in den nördlichsten Ländern vorerst aber nicht hinaus.

„Der jetzt für den gesamten Sektor NKL in beiden Ländern veranschlagte Rahmen“ – von 279.000 Euro – liege „unter dem zu erwartenden Förderbedarf“, kritisiert die Freie Radio Initiative Schleswig-Holstein e.V. (FRISH), in der sieben Gruppierungen zusammengeschlossen sind, darunter auch Freies Radio – Initiative Flensburg, die in absehbarer Zeit ebenfalls eine Lizenz bekommen könnte. Über die Vergabe der Fördergelder entscheiden die vier Träger der Medienstiftung Hamburg/Schleswig-Holstein: die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein, ihre gemeinsame Medienanstalt und der NDR.

Zum Vergleich: Der Offene Kanal Schleswig-Holstein bekommt 2,06 Millionen Euro pro Jahr, der Ausbildungskanal TIDE in Hamburg fast 900.000 Euro.

In Aufbruchstimmung

In Neumünster herrscht seit der Lizenzierung dennoch erst einmal Aufbruchstimmung. Nach der Zulassung müssen nun die nächsten Schritte folgen: Räume anmieten, Technik aufbauen, potenziellen Interessenten in Schulungen Radiokompetenz vermitteln. Im Sommer 2017 will der neue Sender starten.

Nicht-kommerzielles Radio unter Beteiligung von Normalbürgern ist in Norddeutschland unterschiedlich organisiert. In Hamburg gibt es neben TIDE, 2004 als Nachfolger des Offenen Kanals installiert, das freie Radio FSK. In Bremen und Niedersachsen setzt man auf das Modell des sogenannten Bürgerrundfunks – sehr grob gesagt eine Mischform aus Offenem Kanal und freiem Radio.

In Neumünster begann der Aufbau einer freien Radioinitiative 2013, der harte Kern besteht aus zehn Hörfunkaktivisten. „Anderswo haben solche Gruppen 100 bis 150 Mitmachende. Das ist in Neumünster illusorisch“, sagt Stefan Tenner, der Sprecher der Initiative.

Im Exil beim FSK Hamburg

Als Urgestein des freien Radios gilt in Schleswig-Holstein die Freie Radio Cooperative Husum, die einmal wöchentlich ein dreistündiges Programm für den Offenen Kanal Westküste produziert. Andere schleswig-holsteinische Gruppen senden bisher noch in einer Art Exil – beim FSK in Hamburg. Jeden zweiten Freitag im Monat strahlt das Freie Radio Neumünster dort von 15 bis 16 Uhr eine Magazinsendung aus.

Trotz aller Verbundenheit sieht man FSK nicht als programmliches Vorbild. In einer kleineren Stadt gelte es einen anderen Ansatz finden, sagt Tenner. Ein Ziel sei es, Migrantengruppen ein Forum zu geben. Wie hoch der Anteil überregionaler Inhalte sein soll, ist eine der Fragen, die noch geklärt werden müssen.

Unkommerzieller Lokalfunk

Als nicht kommerzielles Lokalradio bezeichnet man Radio- und Fernsehsender, mit denen kein Gewinn erwirtschaftet werden soll und die nicht öffentlich-rechtlich organisiert oder vom Staat betrieben sind. Darunter fallen:

Das freie Radio wird nach basisdemokratischen Grundsätzen mit dem Ziel betrieben, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen;

der Offene Kanal ist ein Sender, dessen Programm Bürger gestalten, deshalb wird er auch „Bürgerfunk“ genannt; er fungiert bisweilen auch als

Ausbildungskanal, in dem Bürger lernen, selbst Radio und Fernsehen zu machen.

In der aktuellen Magazinsendung der Gruppe auf FSK findet sich unter anderem ein Beitrag zur „Qualität der Arbeitsplätze“ im Designer-Outlet-Center am Rande Neumünsters und die Rezension einer TV-Dokumentation über Glyphosat.

Auch um allgemeine Fragen werden die Debatten beim Freien Radio Neumünster in den kommenden Monaten kreisen – zum Beispiel ob „Radio überhaupt noch das Medium für Bewegungen ist“, wie Tenner es formuliert. Der Aktivist wünscht, sich, dass das Studio der Freifunker „zu einem sozialen Ort“ wird, im Idealfall sollen dort Lesungen und Konzerte stattfinden.

Kiel und Lübeck bei freien Radios außen vor

Nicht als Standorte für freies Radio im Staatsvertrag vorgesehen sind Kiel und Lübeck – dabei gibt es aufgrund der Größe der Städte dafür mehr Potenzial als anderswo. In beiden Städten sei der Offene Kanal sehr stark, sagt Peter Eichstädt, der medienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag. Man habe im Staatsvertrag einen „Schwerpunkt“ legen wollen auf Regionen, in denen Bürger bisher gar kein Möglichkeit hatten, Radiosendungen zu produzieren.

Als drittes NKL-Gebiet neben Neumünster und Flensburg ist im Medienstaatsvertrag die Region Rendsburg-Schleswig-Eckernförde festgeschrieben, obwohl es dort gar keine schlagkräftige Initiative gibt. Eine große Geste, die folgenlos bleibt? Eichstädt sieht das nicht so: „Es kann ja sein, dass es dort in zwei Jahren Interessenten geben wird.“

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