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Archiv-Artikel

Ein Fußballkönig für Liberia

„Fußball und Politik sind das Gleiche“, sagt George Weah. „Wer sagt, dass es da Unterschiede gibt, hat das Spiel nicht verstanden“Anhänger antworten auf Kritik an Weahs Herkunft mit der Gegenfrage, was denn die alten Eliten dem verwüsteten Land gebracht haben

AUS MONROVIA HAKEEM JIMO

Auf den Sportwagen wollte George Weah nicht verzichten. Auch wenn es in Monrovia kaum gute Straßen gibt. Unbenutzt steht das schwarze Porsche-Coupé in der offenen Garage. Schon die 500 Meter vom Haus zur Hauptstraße zu fahren, wäre in der Regenzeit verwegen. Eine Sandpiste führt in die Siedlung, die weit außerhalb des Zentrums der liberianischen Hauptstadt liegt. Wenn es regnet, verwandelt sich die rote Erde in klebrigen Schlamm.

Beim Einbiegen in die letzten Meter zum Haus auf einen noch ruppigeren Weg ragt ein Holzbogen von einer Seite auf die andere. „Willkommen im Zuhause von George Oppong Weah“ steht darauf geschrieben. Oppong ist der einheimische Name des weltweit als George Weah bekannten ehemaligen „Weltfußbballers des Jahres“, der diese Woche Präsident von Liberia werden will. Vollständig heißt er George Manneh Oppong Ousman Weah. Und natürlich ist der Weg zu seinem Haus auch nach ihm benannt.

Rings um das Heim von Weah herum stehen schmucklose erdgeschossige Einfamilienhäuser im sumpfigen Gelände. Die meisten sind unverputzt. Bei den Weahs sieht es ein wenig netter aus, auch wenn die hohen Mauern zunächst einen genaueren Blick ins Innere verhindern. Kein Unrat liegt herum, und der Generator sorgt für ständigen Strom und somit für Licht die ganze Nacht. Denn ein öffentliches Stromnetz gibt es in Liberia nach wie vor nicht. Und der dauernde Betrieb eines Generators ist für die Leute in der Nachbarschaft von Weah zu teuer.

Allzu lange will George Weah hier nicht mehr wohnen. Denn wenn es am Dienstag gut läuft, dann wird der ehemalige Profi unter anderem bei AC Mailand, Chelsea London, Olympique Marseille und Paris St. Germain in den Präsidentenpalast einziehen, rund 15 Kilometer von hier entfernt. Vorausgesetzt er gewinnt die Wahlen gegen die anderen 21 Bewerber. Neben der Bürgerrechtlerin und Ökonomin Ellen Johnson-Sirleaf gilt er als aussichtsreichster Bewerber. Bei Umfragen lag Weah zuletzt vor seiner Konkurrentin. Sollte er es nicht schaffen, wird der 39-Jährige wahrscheinlich zurück in die Vereinigten Staaten gehen, wo er auch zuvor lebte.

„Fußball und Politik sind das Gleiche“, sagt George Weah. „Wer sagt, dass es da Unterschiede gibt, hat das Spiel nicht verstanden.“ Als Erster und bislang noch einziger Afrikaner gewann Weah 1995 den Titel des besten Fußballers der Welt. Das Gleichnis vom Fußball und der Politik erzählt George Oppong Weah dieser Tage häufig. Vielleicht als Gegenangriff zur Kritik, dass er Politik mit Fußball verwechsle.

Auch in Liberia kennt man die Vorurteile gegen Fußballer: Nicht lange zur Schule gegangen, nicht viel im Kopf, nette Burschen, aber einmal vom Rasen herunter, brauchen sie eher einen Babysitter. Weah setzt alles daran, diese Klischees zu entkräften. Er engagiert sich sozial, zeigt sich in der Öffentlichkeit absolut makellos gekleidet, mal in westlicher Kleidung, mal im traditionellen westafrikanischen Gewand. Zum Gespräch mit der taz trägt er ein legeres weißes Hemd mit einem kleinem modischen Symbol auf der Brust. Ruhig, ernsthaft, etwas staatsmännisch gewollt, aber nicht verkrampft beantwortet er die Fragen.

Was er als Präsident Liberias tun würde? Weah spannt die Hände und es scheint, als sammele sich die Kraft in den Fingerspitzen und er setze zum Einwurf an. „Den Menschen endlich Strom und Wasser bringen“, sagt der zweifache Vater schließlich.

Darauf zu kommen, ist in Liberia nicht schwer. Regelmäßig versprechen liberianische Staatsoberhäupter vor Wahlen, die breite Bevölkerung an die Stromversorgung anzuschließen. Aber auch heute, nach zwei Jahren Frieden und der zweitgrößten Blauhelmmission in der Geschichte der UNO, liegt Liberia in fortgesetzter Dunkelheit. Das will George Weah besser machen. Und er will auch die katastrophalen Straßen des Landes in Ordnung bringen, sagt der Fan schöner Autos. Zurzeit kann er Liberia nur mit einem schweren Toyota-Geländewagen durchqueren. Auch seine Frau, die karibischer Herkunft ist, fährt ein schnittiges Fahrzeug mit Allradantrieb.

Wie er das Land von der alles beherrschenden Korruption befreien will? „Indem ich auf gute Leute setze“, antwortet Weah. Auch nicht unbedingt eine originelle Einsicht. Vielleicht um der internationalen Gemeinschaft die Skepsis vor seiner möglichen Machtergreifung zu nehmen, sagte Weah kürzlich, er wünsche sich die Fortsetzung des UNO-Blauhelmeinsatzes in Liberia in seiner gesamten ersten Amtszeit. Die möchte George Weah zudem von sechs auf vier Jahre kürzen.

Vor Freunden und ihm zujubelnden Anhängern kann sich Weah kaum retten. Sie widmen ihm Internetseiten, den besagten Willkommensbogen vor seinem Haus oder selbst gebastelte Erinnerungsstücke. Zum Beispiel das Bild, das neben dem Fernseher im Empfangsraum seines Hauses steht. Es zeigt ihn mit römischen Umhang und Lorbeerkranz. Der linke ausgestreckte Arm hält einen Fußball wie eine Weltkugel. „Deine Freunde gratulieren dir zum Titel des Weltfußballers 1995“ steht darauf.

Lieber als in der Empfangsstube hält sich George Weah gleich nebenan auf, im Billard-Raum mit Bar. Nur einige seiner Vertrauten dürfen ins Haus. Strenge Regeln gelten, wenn es darum geht, wer Einlass erhält und wer nicht. Darüber wacht der eigens dazu beauftragte Sicherheitschef mit schwarzer Lederjacke und Sonnenbrille. Ansonsten würde sich wohl der Pulk der zwei Dutzend jungen Männer, die im Hof lungern, auch im Haus ausbreiten.

George Weah findet vor allem in der liberianischen Jugend viele Anhänger. Wie in allen afrikanischen Staaten sind die Hälfte der rund drei Millionen Liberianer Kinder, und der überwiegende Teil der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt. Zehntausende jugendliche ehemalige Kämpfer aus der Zeit des Bürgerkriegs, die in den letzten Jahren mit UN-Hilfe demobilisiert wurden, wollen Weah wählen.

Bezüglich der engsten Mitstreiter George Weahs scheiden sich die Geister bei den Menschen in Liberia. Einige behaupten, er sei zu gutgläubig im Umgang mit seinem Umfeld. Schon jetzt haben sich dubiose Personen um ihn herum angesammelt, die ihn später manipulieren wollen, sagen Weahs Gegner. Mindestens zwei hochrangige Mitglieder seiner Partei CDC (Congress for Democratic Change) standen früher in Führungspositionen einer der Bürgerkriegsgruppen. Mit der im Sommer 2003 eingesetzten Übergangsregierung nach Ende des Krieges stolperten sie schnell über Korruptionsskandale und verloren die ihnen zuerkannten öffentlichen Ämter. Jetzt hoffen sie unter Weah auf eine neue Chance.

So sehen Liberianer und Liberianerinnen die neue Karriere von George Weah mit gemischten Gefühlen. Für viele steht schon jetzt fest, dass das politische Geschäft das Idol beschmutzen wird. Der Ex-Sport-Profi gilt vielen als lebender Nationalheld. Nicht nur wegen seiner Erfolge im Fußball. Auch in den Bürgerkriegsjahren bemühte er sich immer, seinen Landsleuten moralisch und auch materiell beizustehen. Unter anderem war er Sonderbotschafter des UN-Kinderhilfswerks Unicef und half beim Aufbau von Schulen.

Als erster und bislang einziger Weltfußballer Afrikas gab George Weah dem Land und seinen Menschen einen bis dahin ungekannten Stolz – ein Gegensatz zu den hässlichen Bildern des Bürgerkriegs der 90er-Jahre mit berauschten Kindersoldaten und mordenden Milizen. Auch investiert Weah direkt in sein Land. Mehrere Unternehmen, Häuser und sogar eine Fernseh- und Radiostation kann er sein Eigen nennen. Viele sehen in ihm einen Hoffnungsträger für die leidende Masse des liberianischen Volkes.

Weah kennt das Schicksal der einfachen Leute, weil er selbst dazu gehörte, sagen sie. Er kam am 1. Oktober 1966 in Monrovia auf die Welt und wuchs bei seiner Großmutter in ärmsten Verhältnissen auf. Seine Familienbande kann er teils auf die Volksgruppe der Bassa teils auf die der Kru zurückführen. Er ist also ein einheimischer Afrikaner, kein Angehöriger der „americano-liberianischen“ Elite des Landes.

Viele in Liberia misstrauen mehr denn je der politischen Dominanz der zugewanderten Americo-Liberianer, ehemals in den USA freigelassene Sklaven. Diese gründeten 1822 „Liberia“ an Afrikas Westküste als US-Protektorat und riefen 1847 die unabhängige Republik aus. Ihre Nachfahren regierten bis 1980 uneingeschränkt über die entrechtete einheimische Bevölkerung. Weah wäre erst der zweite Nicht-Americo-Liberianer, der das Land in seiner 158-jährigen Geschichte führen würde.

Weah-Anhänger antworten auf intellektuelle Kritik an Weahs Herkunft mit der Gegenfrage, was denn die Universitätsabsolventen und die alten Eliten dem verwüsteten Land und seinen Menschen gebracht haben. Diese gesellschaftlichen Gräben zu schließen – das traut sich George Weah zu. „Ich kann die Menschen einen, so wie es auch Fußball und Sport allgemein schafft“, sagt der potenziell jüngste Präsident Liberias. „King George“ nennen seine Landsleute ihn. Mal sehen, ob er Liberia in ein blühendes Königreich verwandeln wird.