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Frieden ja – aber nicht so!

Referendum Die Gegner des Regierungsabkommens mit der Farc-Guerilla setzen sich durch. Die Befürworter sind überrascht, enttäuscht, fassungslos. Der Präsident will im Amt bleiben und weiterverhandeln

Bogotá am Sonntagabend im No-Lager: Diese hier sind nicht enttäuscht. Sie haben gegen das Friedensabkommen gestimmt Foto: Ariana Cubillos/ap

aus Bogotá Sebastian Erb

Es ist kurz vor 17 Uhr, als der TV-Moderator das Wort zum ersten Mal in den Mund nimmt: „Ungewissheit“.

Ein paar hundert Kolumbianer verfolgen die Übertragung auf dem großen Bildschirm im Parque de los Hippies in Bogotá am vergangenen Sonntag, viele haben weiße Fahnen mitgebracht. Sie sind gekommen, ein Friedensfest zu feiern – und jetzt trauern sie. Denn es stellt sich heraus, dass eine Mehrheit ihrer Landsleute das Friedensabkommen mit den Farc-Rebellen ablehnt.

Relativ schnell ist klar: Das für das Referendum nötige Quorum von 13 Prozent Ja-Stimmen wird erreicht. Aber Ja und Nein bleiben fast gleichauf. Die Ergebnisse der großen Städte kommen zuerst. Und dort gibt es mehr Nein-Stimmen – viele von Anhängern des Expräsidenten Álvaro Uribe, der am lautesten Stimmung gegen das Friedensabkommen gemacht hat.

Umfragen hatten die Befürworter klar vorn gesehen, doch es gab auch viele Bedenken dem Friedensprozess gegenüber. Als das Abkommen eine Woche zuvor unterzeichnet wurde, feierten viele Kolumbianer, als sei alles schon entschieden. Der Bürgerkrieg ist vorbei, endlich! Nun jedoch sagt die Mehrheit „Nein“ – wenn auch eine sehr knappe. Am Ende sind es 54.000 Stimmen Unterschied.

Im Parque de los Hippies können sie es nicht fassen. Noch nie war man bei Verhandlungen mit der Farc so weit gekommen. Ein umfassendes Abkommen stand zur Abstimmung, 297 Seiten lang. Es sah nicht nur die Entwaffnung der Rebellen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft vor, es sollte auch eine Landreform vorantreiben.

Sie waren sich sicher, dass das Ja gewinnt

Auf dem Platz vor der Fernsehwand weinen jetzt Eltern vor ihren Kindern, denen sie ein friedlicheres Land wünschen würden. Freunde liegen sich in den Armen. Viele Blicke gehen ins Nichts.

„Es ist völlig absurd“, sagt Walter Abondano. Wie kann es sein, dass Intoleranz und Rachegedanken gewinnen konnten? 53 Jahre ist er alt, Lehrer von Beruf, seinen Schülern hat er immer versucht, Hoffnung zu vermitteln. „Das kann ich jetzt nicht mehr. Für die Zukunft sehe ich schwarz.“

Das Nein war eine Option, an die keiner von ihnen denken wollte. Offenbar taten es auch die politisch Verantwortlichen nicht. Kurz vor der Abstimmung hat der für die Umsetzung des Friedensabkommen zuständige General im taz-Interview mit Humor auf die Frage reagiert, was geschehen würde, falls das Abkommen abgelehnt wird. „Dann ziehen wir wieder in den Krieg“, hat er gesagt „Ich bin vorbereitet, hier habe ich die Granaten und die Gewehre.“ Er hat Schießgeräusche gemacht und gelacht; er war sich sicher, dass das Ja gewinnt.

Eine Frau hält ihr Smartphone in die Höhe. Schaut her, sagt sie, was die Farc getwittert haben: „Die Liebe, die wir im Herzen tragen, ist riesengroß, und mit unseren Worten und Handlungen werden wir in der Lage sein, den Frieden zu erreichen.“

„Das ist jetzt meine Hoffnung“, sagt die Frau und kann es selbst nicht so richtig glauben. So weit komme es noch, sagt der Mann neben ihr, dass die Farc allen eine Lektion erteilen.

Die Guerilla hat zuletzt versucht, Vertrauen zu gewinnen. Sie hat versprochen, alle ihre Vermögen offenzulegen und für Reparationszahlungen zur Verfügung zu stellen. Viele in Kolumbien vermuten, dass die Farc größere Summen aus dem Drogenhandel und Entführungen angehäuft und womöglich im Ausland versteckt haben.

Vor allem sind Farc-Kommandeure auf Versöhnungstour gegangen. In der Woche vor der Volksabstimmung besuchten hochrangige Guerilleros drei Orte, an denen besonders viele Opfer zu beklagen waren. Sie baten um Entschuldigung für das Leid, das sie verursacht haben.

Ein halbes Jahrhundert Krieg mit der Farc

1964: Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Fuerzas Armadas Revolucionarios de Colombia, Farc) gründen sich, nachdem die Regierungsarmee aufständische Bauern attackiert und getötet hatte. Es beginnt ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg mit über 220.000 Toten und mehr als 6 Millionen Flüchtlingen.

Ab 1985: Mit der Partei Uníon Patriótica will die Farc ihre revolutionären Ziele auf legalem Weg durchsetzen. Tausende Mitglieder der Partei werden aber von rechtsgerichteten Paramilitärs getötet.

Ab 2002: Präsident Álvaro Uribe drängt die Farc militärisch zurück, ohne sie zu besiegen. Die Opferzahlen steigen.

Ab 2010: Uribes Verteidigungsminister Manuel Santos wird neuer Präsident. 2012 lässt er sich überraschend auf Friedensverhandlungen mit der Farc ein.

2016: Ende September unter­zeichnen Santos und der Farc-­Chef Rodrigo Londoño alias Timoschenko den Friedensvertrag, der durch das Referendum am Sonntag abgesegnet werden sollte. (ga)

In Bojayá, wo eines der schlimmsten Massaker der Farc stattfand, 79 Tote in einer Kirche, stimmten 96 Prozent für das Friedensabkommen. Überhaupt ist die Zustimmung in den Gegenden, die am meisten unter den Farc zu leiden hatten, am größten. In Städten, die von der Guerilla nicht viel mitbekommen, gab es mehr Ablehnung.

Das offizielle Sí-Lager hat im Hotel Tequendama im Zentrum von Bogotá den „Roten Salon“ gemietet, eine Veranstaltungshalle. Sie haben T-Shirts verteilt und sich einen Hashtag für die sozialen Netzwerke überlegt: #GANÓLAPAZ, #DerFriedenhatgewonnen. Aber das hat er nicht.

„Die Gleichgültigkeit hat gewonnen“, so formuliert es nun einer. Gerade einmal 37 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben. Einige konnten es nicht, weil starke Regenfälle mancherorts Überschwemmungen verursachten.

Im „Roten Salon“ sind viele Fernsehkameras, aber nicht mehr viele Politiker. Senator Armando Bedetti von der Regierungskoalition gibt Interviews, er ist einer der vordersten Kämpfer für das „Sí“. Das Land befinde sich nun in einer politischen Krise, sagt er. Diese müsse nun von allen gemeinsam überwunden werden. Er richtet den Blick auch nach außen: „Das Ergebnis ist eine wahre Schande vor der internationalen Gemeinschaft.“

Kolumbien hat international viel Unterstützung erfahren, der Friedensprozess wurde schon als weltweites Vorbild gefeiert. Das Ergebnis könne man nicht wirklich erklären, sagt Bedetti. Welchen Ausweg sieht er? „Warten wir ab, was der Präsident sagt.“

Präsident Juan Manuel Santos hatte am Morgen auf der Plaza de Bolívar seine Stimme abgegeben. Danach stand er mit einem weißen Regenschirm im Freien und sagte: „Ich hoffe, dass diese historische Abstimmung die Geschichte des Landes zum Guten verändert.“ Nach 52 Jahren Krieg solle nun der Weg des Friedens Kolumbien in eine bessere Zukunft führen.

Santos war mit dem Referendum ein hohes Risiko eingegangen – was die Umsetzung des Friedensplans angeht und auch seine politische Zukunft. Im Präsidentenpalast hält er mit seinem Kabinett und der Verhandlungsdelegation eine Krisensitzung ab und tritt dann vor die Fernsehkameras. Es ist wohl der schwerste Auftritt seines Lebens: Santos spricht genau drei Minuten, neben ihm stehen schweigend seine Minister wie auf einem Familienfoto. Alle Kolumbianer wollten doch den Frieden, sagt er, deshalb bleibe auch der Waffenstillstand bestehen. Und schon am nächsten Tag werde er sich mit allen politischen Akteuren treffen und das weitere Vorgehen besprechen. „Ich werde nicht aufgeben. Ich werde bis zum letzten Tag meiner Amtszeit weiter den Frieden suchen.“

Die Gegner des Abkommens treffen sich vor dem Sitz des rechten Centro Democrático, der Partei von Expräsident Uribe. Sie rufen den Slogan der Befürworter: „¡Sí se pudo!“– „Wir haben es geschafft!“ Für sie ist das Ergebnis ein Triumph. Die Demokratie – und ihre Partei – habe gesiegt, so sehen sie es.

„Wir sind sehr zufrieden!“, schreit Catalina Suárez, 26, gegen die Lautsprecher an. Sie hat Wahlkampf für das Nein gemacht – nicht gegen den Frieden, sondern gegen dieses Abkommen: Weil es schwere Verbrecher straflos davonkommen lasse. Weil die Farc nie ihre Kindersoldaten freigelassen habe. Außerdem bekämen die Guerilleros 2 Millionen Pesos im Monat ausbezahlt, ergänzt die junge Frau neben ihr.

Das stimmt zwar nicht, aber es hat bei der Kampagne funktioniert. Es gehe doch darum, einen dauerhaften Frieden zu schaffen, sagt Catalina Suárez, und nicht darum, „auf die Schnelle einen Nobelpreis zu gewinnen“. Wenn die Farc wirklich Frieden wollte, müsste sie eben weiterverhandeln.

Wie konnten Intoleranz und Rachegedanken gewinnen?

Auf der Großbildleinwand zeigt das Fernsehen Farc-Chef Timoschenko, der von Kuba aus ein paar Sätze spricht: Die Guerilla wolle nicht wieder zu den Waffen greifen, sagt er. „Das kolumbianische Volk, das von Frieden träumt, kann auf uns zählen.“

Schon am Montag wollte Präsident Santos seine Verhandler nach Kuba schicken, um den Farc-Leuten die Ergebnisse der politischen Unterredungen zu überbringen. Bislang hat er immer ausgeschlossen, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen werden. Das klingt nun anders.

Nun ist die Rede von einem „großen nationalen Pakt“

Die Gegner der im Referendum nun gescheiterten Vereinbarung mit der Farc wissen, dass ohne sie nichts mehr geht. Im Hof der Parteizentrale schauen sie zu, wie sich ihr Chef auf seiner Finca in Rionegro zu Wort meldet. Uribe schlägt einen „großen nationalen Pakt“ vor und nennt die Punkte, die seiner Meinung nach beim Friedensabkommen anders geregelt werden müssen. Dazu zählen besonders die politische Beteiligung der Farc und die Übergangsjustiz. Seine Anhänger jubeln.

Ein paar Kilometer weiter stehen am späten Sonntagabend rund 200 meist jüngere Leute auf dem breiten Grünstreifen zwischen zwei Fahrbahnen. Musik erklingt, einige schwenken weiße Flaggen, manche trinken Bier, obwohl das bis zum nächsten Morgen eigentlich verboten ist.

Sie hätten sich spontan per WhatsApp verabredet, hier herzukommen, sagt eine junge Frau. Man dürfe doch die Hoffnung nicht verlieren. Man müsse Präsenz zeigen. Auf dem Boden haben sie mit brennenden Kerzen ein großes Wort gelegt. Paz. Frieden.

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