Der Sound Osteuropas

Dokumentation Das Easterndaze-Festival gibt Einblick in das aktuelle Treiben musikalischer Subkulturen Osteuropas

„East Punk Memories“ erzählt von einer Szene, die in Ungarn alles andere als automatisch links war Foto: Promo

von Andreas Hartmann

Die Geschichte zu der vor drei Jahren erschienenen Platte „The Lost Tapes“ von Rodion G.A. klang wie ausgedacht. Der ziemlich verstrahlte Space-Sound des auf dem englischen Hipster-Label Strut veröffentlichten Werks komme von einem Rumänen, der diese vernebelte Tripmusik während der bleiernen Siebziger in der kommunistischen Ceauşescu-Ära aufgenommen habe. Das staatseigene Label wollte das wie Anleitungen zum Drogennehmen klingende Spacerockgewaber nicht herausbringen und so seien die Aufnahmen irgendwann verschollen, und nicht einmal Rodion Rosca, Mastermind hinter dieser Musik, soll gewusst haben, wo die Bänder waren. Bis sie dann doch, 24 Jahre nach Ceauşescus Tod, den Weg in die Öffentlichkeit fanden.

Inzwischen weiß man: Ist alles wahr und Rodion Rosca gibt es wirklich. Sorin Lucas Film „Dream Images“, der nun auf dem Musik- und Filmfestival „Easterndaze“ in Berlin gezeigt wird, porträtiert den Mann.

„Easterndaze“ ist ein Blog, der sich vor allem Obskuritäten aller Art aus Osteuropa widmet. Die neue Tape-Szene in Warschau, elektronische Musik aus Prag – Easterndaze ist informiert. Die Idee ist, auch dem Westen klarzumachen, dass dort, wo es der Kommunismus der Entfaltung von Popkultur nicht leicht machte, einiges passiert. Und damit ist eben mehr gemeint als immer bloß Balkanbeats.

Die Filme, vor allem Musik-Dokus, die im Rahmen von „Easterndaze“ im Lichtblick-Kino gezeigt werden, sollen einen Einblick in das aktuelle Treiben der Subkulturen Osteuropas ermöglichen. Gleichzeitig ist an der Filmauswahl aber auch spürbar, dass Länder wie Bulgarien oder Rumänien damit beschäftigt sind, ihre popkulturelle Vergangenheit, wie auch immer diese im Detail ausgesehen haben mag, aufzuarbeiten. So wie Punk in der DDR bei uns immer noch ein Riesenthema ist, widmet sich da beispielsweise die Dokumentation „East Punk Memories“ dem Punk, wie er in Ungarn und damit vor allem in Budapest passierte. Regisseurin Lucile Chaufour holt sich ein paar ehemalige Punker der überschaubaren ungarischen Szene in den frühen Achtzigern Jahrzehnte später vor die Kamera, die erzählen, wie das damals war mit dem Punk-Sein im sozialistischen Ungarn. Pogo-Tanzen in Privatwohnungen, Sex-Pistols-Tapes tauschen, solche Geschichten werden erzählt. Für so manchen ungarischen Punker, das erfährt man auch, scheinen vor allem die Swastikas elektrisierend gewesen zu sein, die da in der Londoner Punk-Ära auch bei einigen Musikern auftauchten, um rechtschaffene Bürger noch besser ärgern zu können. Punk ist also rechts, dachte sich da so mancher ungarische Punker und rechts ist sowieso gut, weil gegen den Kommunismus und damit gegen bestehende Verhältnisse. Aus diesem Missverständnis hat sich, diese These lässt sich aus „East Punk Memories“ ableiten, in Ungarn eine Punkszene entwickelt, die, anders als im Westen, alles andere als automatisch links war.

„Dream Images“ zeigt nur einen alt gewordenen Messie auf dem Land

Musikdokus sind ein beliebtes, aber auch schwieriges Genre. Auf jedes „Some Kind Of Monster“-Meisterwerk kommen 20 Arte-Filmchen mit lauter Talking Heads, die einen zu Tode langweilen. Ohne echte Langeweiler klappt es auch bei „Easterndaze“ nicht. Die Doku „Balta Alba“ etwa porträtiert die Musikszene des Bukarester Stadtteils Balta Alba und führt zu der Erkenntnis, dass dort heute HipHop-Bands, Elektronikmusiker und alte Metal-Haudegen koexistieren. Schön für diese und für Balta Alba, aber, auch wenn man weiß, dass dies unter Ceauşescu nicht so war, ist das als Erzählung schon eher dünn.

Und über „Dream Images“ und den sagenhaften Rodion Rosca muss man auch noch mal reden. Der Mann ist heute eine Art Popstar, lebt aber sein beschauliches Single-Leben in einem ländlichen rumänischen Kaff mit Katze und lahmendem Hund und hält sich seine eigene kleine Subsistenzwirtschaft. Hipster in London lieben seinen irre kosmischen Sound. Der Typ haust in einer zugemüllten Bude und versucht, das Ungeziefer von seinem Obst wegzubekommen. Rodion Rosca ist eine Figur wie Sixto Rodriguez in „Searching For Sugarman“, seine Geschichte ist fantastisch. Aber „Dream Images“ zeigt nur einen alt gewordenen Messie auf dem Land, dabei hätte die Dokumentation, und darum geht es doch eigentlich beim „Easterndaze“-Filmfestival, auch ein bewegendes Schicksal hinterm Eisernen Vorhang erzählen können.

Easterndaze x Berlin: Lichtblick-Kino/Silent Green, bis 9. 10., www.lichtblick-kino.org