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Archiv-Artikel

Grüß Gott, Herr Stoiber!

Nun kommt der Bayer doch noch zu uns. Als Bundeswirtschaftsminister muss er sich in Berlin auf einiges gefasst machen. Die taz gibt Tipps

VON RICHARD ROTHER

Grüß Gott! So redet in Berlin zwar niemand, aber das weiß Edmund Stoiber sicher schon. Was er vielleicht noch nicht weiß –und jetzt ganz tapfer sein: Das Bundesministerium für Wirtschaft, das der Bayer übernehmen will, liegt in der Zone der Frustrierten, in Ostberlin. Von der Scharnhorststraße in Mitte sind es zwar nur wenige Meter bis in den Westen, aber stünde die Mauer noch da, wo sie sich viele Bayern hinwünschen, wäre Stoiber demnächst ein Ostberliner. Tachchen Ede!

Überhaupt wird Berlin zu einem knappen Drittel von Ostdeutschen bewohnt. Die Mauer ist nicht zu sehen, aber in den Köpfen und im Alltag präsent. Der Osten wählt die PDS, die jetzt Linkspartei heißt; der Westen Sozis und die CDU. Ein Lichtenberger zieht nicht in den Westteil der Stadt, und ein Steglitzer oder Spandauer nicht in die frühere Zone. Selbst wenn sie sich ein Häuschen im Grünen kaufen, bevorzugen sie „ihre“ Vororte: Der Ostberliner geht nach Erkner oder Neuenhagen, der Westberliner nach Kleinmachnow oder Falkensee.

Geeignete Wohnsitze für Stoiber wären Lübars oder Frohnau. Die Villa im Westberliner Norden wäre von der Scharnhorststraße relativ schnell zu erreichen. Im weiten Berlin dauer ja jede Fahrt meist etwas länger als im kompakten München. Einziger Nachteil: Die tägliche Fahrt durch den Wedding, der mehr arm als rot ist, zeigte Stoiber, dass in Berlin nicht nur Ost- und Westdeutsche wohnen, sondern auch viele Nichtdeutsche. Kann sich daran ein Münchner gewöhnen, der die Vorzüge eines Döners für 1,50 Euro nicht schätzen lernen muss?

Das sollte er. Denn als Wirtschaftsminister ist er auch für Europafragen zuständig. Berlin liegt zwar in der Mitte Europas, aber das Europa Center am Breitscheidplatz muss Stoiber nicht kennen. Eher dies: Viele EU-, Nochnicht-EU- und Nicht-EU-Europäer leben in Berlin – ein kleiner Sprachkurs in Polnisch, Türkisch oder Russisch könnte also nicht schaden.

Tschechisch kommt meist nur auf Bieretiketten oder in Ostberliner Autohäusern vor. Aber ein bisschen Polnisch wäre auf der beliebten Tanktour nach Küstrin ganz praktisch. Ein Wort, das sich in beide Sprachen nicht übersetzen lässt, ist „Zentrum gegen Vertreibungen. Die Polen und die Tschechen hören das nicht gern, auch die meisten Berliner halten nichts davon. Ein „Zentrum für Migration“ wäre eher angesagt.

Ganz in die Nähe des Wirtschaftsministeriums soll übrigens der Bundesnachrichtendienst seinen Sitz nehmen. Stoiber hätte die – ordentlich Einkommensteuer zahlenden – Schlapphüte zwar weiter lieber in München, aber ein gewisses Maß an Extra-Sicherheit wünscht sich doch mancher in der Scharnhorststraße. Zumal sich hier, ganz in der Nähe des künftigen Hauptbahnhofs, die Kriminellen aller Herren Länder ein Stelldichein geben werden.

Standortfragen sollte Wirtschaftsminister Stoiber ohnehin neu überdenken. Berlin hat 20 Prozent Arbeitslosigkeit, noch immer keinen vernünftigen Flughafen und ist eine Hauptstadt ohne ökonomische Funktion, kein Großkonzern hat hier seinen Sitz. Bringen Sie doch einfach die Allianz, Siemens oder BMW mit, Herr Stoiber, und in Berlin und Ostdeutschland wird bestimmt bald weniger gejammert!

Freuen würde sich dann auch der rot-rote Berliner Senat, vor allem Klaus Wowereit. Der ist Regierender Bürgermeister, Sozialdemokrat und schwul. Aber das ist nicht ansteckend. Stoiber könnte auch ruhig einen Einkaufsbummel über den Winterfeldtplatz machen. Für Männer in Lederhosen ist die Gegend durchaus auch abends interessant. Der Kollege Wirtschaftssenator Harald Wolf ist zwar Kommunist, aber wenigstens kein Ostler. Über Arbeitnehmerfreizügigkeit und eine liberalere Handwerksordnung ließe sich mit ihm reden. Die Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer braucht Stoiber nicht zu kennen – er fährt eh keine U-Bahn, Staus gibt es dank der breiten preußischen Straßen relativ selten, und einen Parkplatz muss er ohnehin nicht suchen.

Freizeitmäßig hat Berlin genug zu bieten: Drei Opern und zwei Zoos wollen erst mal besucht werden, und selbst Berge muss der Bayer nicht missen. Von den Müggelbergen zum Beispiel hat man einen schönen Blick auf viel Wald und Wasser. Das ist zwar nicht ganz so groß wie der Starnberger See, dafür aber weniger verbaut. Überschaubar ist auch der Berliner Sport. Zwar muss Stoiber in Berlin vermutlich nie eine Meisterschale an Hertha BSC überreichen, dafür hat der Verein noch ein „Olympiastadion“, und den Namen des Team-Managers kennt der Bayer schon. Für die Albatrosse, Eisbären und Turbinen interessieren sich eher nur Fans von Randsportarten.

Bleiben ein paar Begriffe: Die berühmte Berliner Weiße ist kein Weißbier und wird nur im Sommer getrunken. Heuer gibt es nicht, sondern heißt in diesem Jahr o. ä. Das mit den Schrippen, den Broilern und den Pfannkuchen kennt jeder aus dem Reiseführer, wo ansonsten viel Begriffsquatsch steht. Der Palast der Republik heißt nicht „Erichs Lampenladen“ und der Berliner Fernsehturm nicht „Tele-Spargel“. Aber es gibt eine Bad- und eine Bahnhofsstraße. Wie in Wolfratshausen. Grüß Gott, Herr Stoiber!