: Tausche Geld gegen Zeit
Ein Abbau der Arbeitslosigkeit ist möglich – durch weniger Überstunden und niedrigere Lohnnebenkosten. Doch die vorhandenen Verteilungsspielräume werden nicht genutzt
Am Anfang stand eine gute Idee. Denn „Job! Die Messe“ stellt das Prinzip gewöhnlicher Jobmessen auf den Kopf. Bei „Job! Die Messe“ werben nicht Unternehmen um Führungskräfte, sondern arbeitslose Akademiker präsentieren sich als ihr eigenes „Produkt“ und werben um die Gunst der Personalchefs. Das persönliche Gespräch am Messestand als Einstieg in das Bewerbungsverfahren – scheinbar ein unschlagbarer Wettbewerbsvorteil.
Um diese Chance zu nutzen, haben 160 arbeitslose Akademiker aus Düsseldorf kürzlich Plakate und Flyer produziert, Gesprächstrainings absolviert und alle Register der kreativen Selbstdarstellung gezogen. So traten sie also an: im edlen Zwirn, hoch qualifiziert und schon auf halbem Wege zu Hartz IV. Die Arbeitsagentur unterstützte das Projekt. Namhafte Firmen traten als Sponsoren auf. In vorbildlichem Optimismus überreichte der Schirmherr, Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU), den OrganisatorInnen einen Kugelschreiber, mit dem möglichst viele Arbeitsverträge unterschrieben werden sollten. Da konnte doch gar nichts schief gehen!
Die Realität glich dann leider einem absurden Theaterstück. Nur dass nicht „Warten auf Godot“, sondern „Warten auf den Personalchef“ gegeben wurde. Wie in Becketts Stück erschien „Er“ nie. Und nur gerüchteweise hörten wir, dass einzelne Arbeitslose an anderen Ständen tatsächlich ein interessantes Gespräch mit „Ihm“ geführt haben sollen. Eine perfekt organisierte Fata Morgana mit 160 Statisten. Im Umfeld meines Messestandes ist kein einziger Firmenvertreter aufgetaucht. Trostloser kann ein zubetonierter Arbeitsmarkt kaum aussehen.
Natürlich war diese Enttäuschung für uns kein Anlass, den Kopf in den Sand zu stecken. Flexibel, wie wir Arbeitslose nun mal sind, haben wir halt untereinander Kontakte geknüpft. Bald herrschte in den Messezelten eine kreative Atmosphäre, von der so manche Marketingabteilung nur träumen kann. Umso drängender stellt sich die Frage, warum das Konzept trotz großer Unterstützung durch die regionalen Medien nicht angenommen wurde. Was müsste stattdessen geschehen, damit qualifizierte Leute wieder in Lohn und Brot kommen?
Das Lehrstück aus der westdeutschen Arbeitsmarktprovinz macht deutlich, dass der Reformstau weiterhin alles lähmt. Wenn sich die Strukturen nicht grundlegend ändern, nützt uns die schönste Jobmesse nichts. Deshalb müsste die Politik endlich handeln. Doch darauf können wir wohl noch lange warten. Dabei sind die Elemente einer erfolgreichen Reformpolitik längst bekannt: Entkoppelung der Sozialsysteme von den Löhnen; ein schlanker, aber effektiver Sozialstaat; niedrige Unternehmenssteuern; höhere Steuern ohne Schlupflöcher für gut Verdienende und Vermögende usw. Leider ist derzeit keine Partei fähig, diese Elemente zu einem überzeugenden Konzept zu bündeln. Der Wähler hat’s gemerkt und in seiner Ratlosigkeit eine Pattsituation geschaffen.
Besonders bedrückend ist der Zustand des linken Lagers. Statt die neoliberale Herausforderung anzunehmen und die gesellschaftliche Entwicklung durch mutige Reformen in eine Richtung zu lenken, die Länder wie Schweden, Dänemark oder die Niederlande längst eingeschlagen haben, wird jetzt wieder die gute alte Kapitalismuskritik aus der Mottenkiste geholt. Das reicht zwar, um Schwarz-Gelb zu verhindern, aber eine Perspektive für die Arbeitslosen ist nicht in Sicht. Statt einen Systemwechsel zu wagen, der die Arbeitskosten reduziert und Neueinstellungen begünstigt, will ausgerechnet das linke Lager an überholten Strukturen festhalten.
So wird etwa die „neoliberale Kopfpauschale“ zugunsten der strukturkonservativen „solidarischen Bürgerversicherung“ abgelehnt, obwohl die Kopfpauschale die Lohnnebenkosten um circa 7 Prozent senken würde. Nur zur Erinnerung: Laut DIW bringt jedes Prozent geringere Lohnnebenkosten um die 100.000 neue Arbeitsplätze. Das Wahlkampf-Argument von Schröder und Fischer, es sei doch „ungerecht, wenn die Putzfrau dasselbe zahlt wie der Konzernvorstand“, ist falsch, wenn Gut- und Spitzenverdiener über einen Zuschlag zur Einkommenssteuer kräftig zur Kasse gebeten würden. Punkt für Punkt könnte man auch bei anderen Wahlkampfthemen nachweisen, dass das linke Lager vor allem mit Scheinalternativen gearbeitet hat, die darauf hinauslaufen, bestehende Strukturen zu zementieren. Ein Schlag ins Gesicht für alle Arbeitslosen.
Es ist natürlich viel einfacher, die alten Gegensätze von Kapital und Arbeit, von Oben und Unten rhetorisch zu inszenieren, statt sich kreativ mit dem Gegensatz von Drinnen und Draußen auseinander zu setzen, der die gesellschaftliche Realität von heute prägt. Natürlich müssen die Kosten des Umbaus von den starken Schultern getragen werden. Natürlich brauchen wir eine Umverteilung von oben nach unten. Nur gehören zu den starken Schultern zumindest aus der Sicht eines Arbeitslosen nicht nur Heuschrecken und Konzernvorstände, sondern auch Arbeitsplatzbesitzer, die noch einigermaßen fest im Sattel sitzen und ein Durchschnittseinkommen oder mehr verdienen.
Statt umfassende gesellschaftliche Solidarität zu organisieren, um die Arbeitslosen ins Boot zu holen, nutzt man vorhandene Verteilungsspielräume stets zugunsten der Integrierten. Strukturen sollen sich nicht ändern. Arbeitslose bleiben weiter außen vor. Zum Trost bietet man uns einen Sündenbock an: Die Ackermänner sind an allem schuld. Es macht wirklich keinen Spaß mehr, links zu sein.
Immer noch werden in Deutschland Jahr für Jahr rund 1,4 Milliarden Überstunden geleistet. Auch dies entspricht rechnerisch einigen hunderttausend Jobs. Die Linke müsste sich stärker für eine gleichmäßigere Verteilung dieser vorhandenen Arbeit stark machen. Ich meine nicht die „35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich für alle“, sondern freiwillige Vereinbarungen, die die Unternehmen außer Kreativität nichts kostet.
Es ist doch unsinnig, dass die einen bei „Job! Die Messe“ mit einer 0-Stunden-Woche als ihr eigener Ladenhüter herumstehen, während andere angesichts einer 50-, 60-Stunden-Woche Lebensqualität vermissen. Wenn in Deutschland auch nur ein geringer Teil der Beschäftigten bereit wäre, 10 Prozent Gehalt gegen 10 Prozent mehr freie Zeit zu tauschen, würde sich zumindest die Akademikerarbeitslosigkeit schnell in Luft auflösen.
Die Politik müsste dafür sorgen, dass die neu zu schaffenden, qualifizierten Teilzeitjobs gezielt an Arbeitslose vergeben werden. Gerade im qualifizierten Beschäftigungssegment sind die Gehälter hoch genug, dass der intelligente Tausch von Geld gegen Zeit attraktiv erscheint. Dieser qualitative Ansatz könnte mit dazu beitragen, linke Politik neu zu konstituieren. Doch wie es aussieht, wird die Entwertung teurer Qualifikationen weitergehen. Dabei hätten es die Teilnehmer von „Job! Die Messe“ verdient, ins Boot geholt zu werden. Denn für Hartz IV sind sie alle viel zu schade. LARS RIEBOLD