Klaus Hillenbrand über den Auschwitz-Prozess in Neubrandenburg: Gestatten: Richter Wurschtigkeit
Bis in die 1970er Jahre haben Richter und Staatsanwälte in vielen Fällen dafür gesorgt, dass mutmaßliche Nazi-Mörder ihrer gerechten Strafe entgangen sind. Besonders beliebt war es dabei, Verdächtige aufgrund ihres Gesundheitszustands gar nicht erst vor Gericht zu stellen oder sie für verhandlungsunfähig zu erklären. Erst in den letzten Jahren hat eine neue Generation von Richtern und Staatsanwälten Verantwortung übernommen.
Beschämend ist, dass heute, wo viele Täter tot sind, nur mehr die kleinen Rädchen im Getriebe des Holocaust vor Gericht gestellt werden können. Immerhin aber zeigt es, dass man gelernt hat. Zumindest hofften das viele. Doch das laufende Verfahren gegen den Auschwitz-Sanitäter Hubert Zafke in Neubrandenburg zeigt: Es gibt sie noch, die Richter, die mit allen Mitteln versuchen, sich eines NS-Verfahrens zu entledigen, die Überlebende und ihre Anwälte herablassend behandeln, die selbst mit einer erfreulich aktiven Staatsanwaltschaft aneinandergeraten. Richter Klaus Kabisch macht gar keinen Hehl daraus, was sein Ziel ist – den Prozess so schnell wie möglich zu beenden.
Sein Vehikel dafür ist, wie in alten Zeiten, die Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit des greisen Angeklagten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich ist es zwingend, dass ein Angeklagter, egal wie schwer seine Taten wiegen, nicht verurteilt werden kann, wenn seine Erkrankung zu schwer ist. Doch Gutachter sind im Fall Zafke vom Gegenteil überzeugt. Das scheint Kabisch nur begrenzt zu stören. Wenn hier jemand verhandlungsunfähig ist, dann der Richter selbst.
Was in Neubrandenburg geschieht, ist eine Schande für die deutsche Justiz, die mit den Verfahren in Lüneburg und Detmold gerade erst bewiesen hat, wie man rechtsstaatlich mit Auschwitz-Tätern umgehen kann. Um schweren Schaden abzuwenden, bleibt nur die Auswechselung dieses Richters wegen Befangenheit.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen