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Scheherazade gegen den Mob

MusikfestKeine Angst vor den großen Gefühlen, mal mit und mal ohne minimalistischen Antrieb: John Adams und die Berliner Philharmoniker spielen in der Philharmonie Werke von John Adams

Scheherazade kämpft: Leila Josefowicz und John Adams, seine „Scheherazade.2“ dirigierend Foto: Kai Bienert/ Mutesouvenir

von Thomas Mauch

Es sind schon eigenartige Träume, die John Adams umtreiben. Von einem Containerschiff in der Bucht von San Francisco etwa, das plötzlich wie eine Rakete in den Himmel steigt. Oder von seiner kleinen Tochter, die auf den Schultern des mittelalterlichen Mystikers Meister Eckhart durchs All schwebt.

Abheben. Fliegen. Diese beiden Träume, sagt der US-amerikanische Komponist, inspirierten ihn zu der Musik seines Stücks „Harmonielehre“. Am Donnerstag war es beim Musikfest Berlin in der Philharmonie zu hören.

In den vergangenen Jahren wurde John Adams, während der Saison 2016/2017 auch Composer in Residence der Berliner Philharmoniker, beim Musikfest mehrmals gefeatured. Bei der Ausgabe 2012 stand seine Oper „Nixon in China“ auf dem Programm, vor einem Jahr konnte man unter anderem sein frühes Erfolgsstück „Shaker Loops“ (1978) hören – eine Arbeit, die noch einigermaßen prinzipientreu mit den Mitteln der Minimal Music argumentiert.

In ebendiese Schublade wird der 1947 geborene Adams immer noch gern gesteckt: der Minimalist im Kreise seiner etwa ein Jahrzehnt älteren Komponistenkollegen Steve Reich, Philip Glass und Terry Riley.

Und tatsächlich gönnt sich auch seine „Harmonielehre“ aus dem Jahr 1985 den motorischen Schub der Minimal Music, der aus Repetition und den ineinander verzahnten Motiven entsteht. Wobei das Gestochene dieser motorischen Wucht nicht so grell ausgeleuchtet wurde von den Berliner Philharmonikern. Stattdessen kosteten die Musiker mit Lust und Schmackes das Sentiment aus, mit dem die „Harmonielehre“ eben auch auftrumpft: Romantische, mahlerische Stimmungen. Manchmal konnte man meinen, die Musik hätte sich im Jahrhundert geirrt.

Weil Adams selbst dirigierte, darf man annehmen, dass er sein Stück genau so hören will: den agitierten Rhythmus etwas abgemildert und die Hingabe an die melodische Lust betont.

„Wir kommunizieren Gefühle“, sagt der Komponist über seine Arbeit. Ein Spiel mit Emotionen. So könnte man sich große Partien seiner „Harmonielehre“ prima als die Musik zu einem Filmmelodram aus den Fünfzigern vorstellen. Und damit es wirklich auch alle merken, dass es mit dem Stück nun in die Zielgerade ging, hörte man ein pointierendes Crescendo und heftiges Trommeln an der Pauke. Orchestrale Überwältigungsmusik – von der man sich durchaus gern überwältigen ließ. Bravo-Rufe, Begeisterung im Publikum.

Kampf mit dem Orchester

Musikfest von A bis Z

In seinem Schlussspurt bietet das Musikfest Berlin – Auftakt war am 2. September, es dauert bis 20. September – noch einen kompositorischen Durchlauf von A bis Z: Heute am Samstag steht in der Philharmonie um 19 Uhr nochmals von John Adams die "Harmonielehre" und "Scheherazade.2", dirigiert von Adams selbst, auf dem Programm. Und am Sonntag sind im Haus der Berliner Festspiele (19 Uhr) mit dem Ensemble Musikfabrik Kompositionen von Frank Zappa zu hören, der ja mit der sogenannten E-Musik genauso konnte wie mit der U-Musik. Und weil Zappa ein leidenschaftlicher Fan von Edgard Varèse war, sind ihm bei diesem Konzert Varèse-Kompositionen zur Seite gestellt.

Schlusspunkt des Musikfests ist am Montag und Dienstag in der Philharmonie das Oratorium "The Dream of Gerontius" von Edward Elgar. Weiteres Programm und Info: www.berlinerfestspiele.de

Nach der Pause folgte „Scheherazade.2“, eine „dramatische Symphonie“ für Violine und Orchester, die vergangenes Jahr in New York Premiere hatte und die John Adams für die Geigerin Leila Josefowicz geschrieben hat. Die kämpfte auch am Donnerstag mit und gegen die Philharmoniker – wie das Adams in seiner Musik konzipiert hat bei diesem Update (das .2 im Titel) der Geschichte jener Frau, die um ihr Leben erzählt.

Nichts Märchenhaftes aber war da im Spiel. Aggressiv zupackend stürzte sich Josefowicz, ihren Part dazu noch mimisch forcierend, in die Musik. Kämpferisch, widerredend, sich behauptend. Auch mal lockend, sich hingebend. Und immer wieder sich den Zumutungen der sie bedrängenden Männer (das Orchester) aussetzend, die im dritten Satz – „Scheherazade and the Men with Beards“ – als zeternd blökender Mob zu hören sind.

Ein Kampf, bei dem Adams seiner Scheherazade zum Schluss doch noch eine Erlösung gönnt in dieser Komposition, in der vom Minimalismus früherer Tage nichts mehr zu hören ist. Dafür aber finden sich in diesem musikalisch reicheren Kosmos viele Zugriffe (oder auch Rückgriffe) auf eine weiter romantisch durchwirkte und neu durchgespielte Moderne.

In den Stimmungslagen klingt das sublimierter als die „Harmonielehre“. Weniger wie ein Hollywood-Melodram, sondern eher wie ein französischer Autorenfilm. Auch das großes Kino.

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