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Gewerkschaftsmitglieder bekommen mehr

Belohnung Gewerkschaften können für ihre Mitglieder Vorteilsregelungen aushandeln. Aktuell profitieren davon Mitarbeitende bei Real und den Paracelsus-Kliniken

von Joachim Göres

Die Beschäftigten in den mehr als 280 Märkten der Real-Warenhauskette bekommen in diesem Jahr ein Prozent ihres Jahresbruttogehalts extra – wenn sie Mitglied der Gewerkschaft Verdi sind. 2017 bis 2019 liegt dieser Zuschlag bei jährlich 1,5 Prozent. Darauf haben sich jetzt die Gewerkschaft und die Real-Geschäftsleitung verständigt. Das Ganze nennt sich Vorteilsregelung – Gewerkschaftsmitglieder bekommen so höhere Leistungen als nicht organisierte Mitarbeiter. Auch die Verdi-Mitglieder bei Real in Flensburg, Hamburg, Bremen, Hannover und Göttingen profitieren von dieser Vereinbarung.

Vorteilsregelungen gelten auch für Verdi-Mitglieder in den privaten Paracelsus-Kliniken – sie bekommen 2016 drei freie Tage extra. Zum Unternehmen mit rund 5000 Beschäftigten in 25 Krankenhäusern, dessen Zentrale sich in Osnabrück befindet, gehören die Berghofklinik und die Wiehengebirgsklinik in Bad Essen, die Klinik am Silbersee in Langenhagen sowie weitere Kliniken in Bremen, Helgoland und Henstedt-Ulzburg. Wer als Gewerkschaftsmitglied beim Unternehmensverband Bremische Häfen angestellt ist, bekommt in diesem Jahr einmalig 200 Euro brutto und im nächsten Jahr 260 Euro.

Rund 60 Mal im Jahr einigt sich Verdi mit Arbeitgebern auf so genannte Haustarifverträge mit Vorteilsregelungen, die ausschließlich in einem Unternehmen gelten. Angesichts von 30.000 unterschiedlichen Tarifverträgen, die Verdi abgeschlossen hat, ist das nur eine kleine Zahl, allerdings mit zunehmender Tendenz.

„Meistens geht es um die Zahlung einer bestimmten Summe nur für Gewerkschaftsmitglieder, auch zusätzliche Urlaubstage oder extra Leistungen für die Altersvorsorge sind möglich“, sagt Norbert Reuter, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung in der Berliner Verdi-Zentrale. Das kann laut Reuter eine Einmalzahlung von bis zu 400 Euro oder auch zwei Tage Extraurlaub sein. „Viel mehr zusätzliche Urlaubstage könnten problematisch werden“, sagt der Verdi-Experte.

Nach Urteilen des Bundesarbeitsgerichts dürfen Bonusleistungen nicht so hoch ausfallen, dass sich Nicht-Mitglieder zum Eintritt in eine Gewerkschaft gezwungen fühlen könnten.

2011 hatte das Bundesarbeitsgericht eine Regelung überprüft, die Verdi mit der Hamburger Lagerhausgesellschaft (HHLA) abgeschlossen hatte und gegen die die HHLA dann vor Gericht gezogen war. Damals sollte die HHLA-Gewerkschaftsmitglieder – etwa ein Drittel der 3500 Beschäftigten – 260 Euro im Jahr extra bekommen, und zwar dauerhaft. Die dauerhafte Gewährung des Bonus wurde vom Bundesarbeitsgericht als nicht zulässig bewertet, die Höhe des Bonus wurde dagegen nicht beanstandet.

„Es gibt aber keine genaue Definition, wie groß die Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder sein dürfen, jeder Einzelfall muss geprüft werden“, sagt Reuter und ergänzt: „Solange die Zusatzleistungen den Mitgliedsbeitrag zur Gewerkschaft nicht übersteigen, ist alles in Ordnung.“ Der liegt in der Regel bei einem Prozent des Jahresgehalts. 2015 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 10.000 Euro nur für Gewerkschaftsmitglieder rechtlich in Ordnung ist. Darauf hatten sich die IG Metall und Nokia Siemens Networks verständigt.

Laut Manfred Menningen, bei der IG Metall für die Tarifpolitik im Bereich der Textilindustrie zuständig, führen Vorteilsregelungen nicht automatisch zu Eintritten in die Gewerkschaft. „Man muss Beschäftigte im persönlichen Gespräch über die Regelungen informieren und sie ihnen erklären. Ein Flugblatt alleine reicht nicht.“ Er weiß von Fällen, in denen IG Metaller die extra Leistungen gar nicht in Anspruch nehmen – weil sie Nachteile befürchten, wenn sie sich dem Arbeitgeber als Gewerkschaftsmitglied zu erkennen geben. In der Textilbranche erfährt der Unternehmer dagegen nicht, wer organisiert ist. „Textilarbeitgeber zahlen Geld in einen Fonds, aus dem unsere Mitglieder Weiterbildungen finanziert bekommen“, sagt Menningen.

Einige Unternehmen sind Vorteilsregelungen gegenüber nicht abgeneigt, da sie das Geld für die zusätzliche Leistung in diesem Fall nur den organisierten Beschäftigten zahlen müssen. In vielen Branchen ist nur eine Minderheit in einer Gewerkschaft organisiert. Im beschäftigungsstarken Einzelhandel sollen es laut der Hans Böckler Stiftung keine 30 Prozent mehr sein.

Die kommunalen Arbeitgeber dagegen lehnen solche Regelungen ab – man wolle keine Ungleichbehandlung zwischen den Beschäftigten, so die Begründung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände.

Den Vorwurf, dass Vorteilsregelungen zu einer Zweiklassengesellschaft unter den Beschäftigten führen, weist Susanne Meister zurück. Sie arbeitet seit 31 Jahren bei Real in Bremen und hat als Mitglied der Verdi-Tarifkommission den Haustarifvertrag mit Real ausgehandelt: „Wir haben die Kollegen in den Betriebsversammlungen darüber informiert, dass wir mit den Arbeitgebern nur dann einen Vertrag abschließen werden, wenn er eine Vorteilsregelung enthält. Niemand hat gesagt, dass er das nicht gut findet.“ Von anderen Gewerkschaftsmitgliedern ist zu hören: „Es ist nur recht und billig, wenn wir das Geld für unseren Mitgliedsbeitrag durch einen extra Bonus wiederbekommen – wir finanzieren die Arbeitnehmervertretung, die die Tarifverträge aushandelt. Gäbe es sie nicht, würde die Lohnsteigerung viel geringer ausfallen, auch für die Nicht-Organisierten.“

Opel hatte 2010 mit der IG Metall Erholungsbeihilfen in Höhe von 200 Euro pro Mitglied ausgehandelt. Unorganisierte Beschäftigte hatten dagegen vor dem Bundesarbeitsgericht geklagt mit dem Argument, dass diese Zahlung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Das Gericht wies die Klage ab – Gewerkschaften hätten das Recht, Leistungen nur für ihre Mitglieder durchzusetzen.

Von Vorteilsregelungen profitieren auch IG Metall-Mitglieder beim Berufskleidungshersteller Alsco, der Niederlassungen in Oldenburg, Hannover und Hamburg hat – sie bekommen zusätzliche Leistungen für ihre Altersvorsorge. Die Freude bei den Gewerkschaftern ist allerdings häufig getrübt. Für die organisierten Real-Mitarbeiter ist der Gehaltsbonus nur ein Trostpflaster, da alle Beschäftigten in den nächsten Jahren auf 60 Prozent ihres Weihnachts- und Urlaubsgeldes verzichten, um Entlassungen zu verhindern. Die Beispiele Opel und Real zeigen: Gerade in Krisenzeiten sind Arbeitgeber zu Vorteilsregelungen bereit, wenn die Interessensvertretung der Arbeitnehmer im Gegenzug Leistungseinschränkungen akzeptiert.

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