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Archiv-Artikel

Zahlen für den Zwang

Zu den am meisten kritisierten Zumutungen von Hartz IV gehören die Pflicht-Umzüge. Im Nordosten zeigt sich, dass sich die Gemeinheit noch weiter treiben lässt, als vom Gesetzgeber geplant

von Benno Schirrmeister

Von einem „ziemlichen Sprengsatz“ wird im Sozialministerium geraunt. Aber offizielle Stellungnahmen aus Schwerin wird es vorerst trotzdem nicht geben. Verständlich. Das Thema Zwangsumzüge aufgrund der Hartz IV-Gesetzgebung ist ohnehin schon heikel genug – da mischt man sich nicht ein, wenn man nicht muss.

Und wenn man muss, dann fasst man’s eher mit spitzen Fingern an: So wurden in Hamburg zwar schon im Mai 250 „unangemessen Wohnende“ Arbeitslosen-Geld II-Empfänger angeschrieben. Aber man hat ihnen eine Frist bis Januar 2006 gesetzt, um zu reagieren. In Bremen wiederum hat man die Maßnahme noch bis November ausgesetzt.

In den Flächenstaaten waren die Behörden da schneller. Zuständig für die Umsetzung sind die halb kommunalen, halb von der Bundesagentur bestückten Arbeitsgemeinschaften vulgo: ARGEs. Derer gibt es etliche im Lande Mecklenburg-Vorpommern, einen zentralen Ansprechpartner sucht man vergebens. Dafür aber wirkt ihr Vorgehen ziemlich koordiniert: Arbeitslose, die zu teuer wohnen, müssen im Nordosten nicht nur umziehen. Sie müssen dafür auch noch bezahlen. „Das scheint eine flächendeckende Praxis zu sein“, sagt Gregor Kochhan.

Kochhan ist bei der Diakonie in Vorpommern Referent für Fragen der Existenzsicherung, in der „Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege“ ist er der Sprecher der Hartz IV-Fachgruppe. Die hat festgestellt, dass die zuständigen Stellen – offenbar im ganzen Land – Mietkautionen bei Zwangsumzügen lediglich als Darlehen übernehmen. Das muss dann nach dem unfreiwilligen Wohnungswechsel abgestottert werden, die Rate zu 10 Prozent vom Regelsatz. 10 Prozent von den 331 Euro, die monatlich das Überleben im Osten sichern sollen. Bleiben dafür also noch 298 Euro.

Vorgesehen ist das so nicht: Da gibt es beispielsweise einen entsprechenden „Durchführungshinweis“ der Bundesagentur für Arbeit. „Aber das ist“, lässt Agentur-Sprecherin Angelika Müller aus Nürnberg wissen, „wie Sie schon sagen bloß ein Hinweis. Und keine Anordnung.“ Also völlig unverbindlich. Zumal Nürnberg die ARGEs überhaupt nicht kontrolliere: „Die handeln im eigenen Ermessen.“ Einzige Aufsicht: Die Kommunen. Die Geld sparen müssen.

Gar nicht so leicht zu präzisieren, wo überall die Darlehens-Praxis herrscht: „Auch wir haben keine verlässlichen Daten“, so Kochhan. Er selbst sei „zunächst von Einzelfällen ausgegangen“. Aber dann hätten sich die Einzelfälle gehäuft. Und auch die anderen Wohlfahrts-Träger hätten ähnliches berichtet, so der Diakonie-Jurist. Auf Liga-Ebene habe man deshalb „ein kleines monitoring gemacht“ – sprich: einen Erfahrungsabgleich. Derselbe Befund in Greifswald, Rostock und Stralsund. „Mindestens“, so Kochhan. Noch nicht umgezogen wird hingegen in Schwerin. Einen verlässlichen Überblick erhält nur, wer jede einzelne der ARGEs im Land abklappert: Das à la Hartz novellierte Sozialgesetzbuch ist zwar ein Bundesgesetz. Davon, dass es für einheitliche Standards sorgt, kann jedoch keine Rede sein.

Das liegt nicht einmal nur am ziemlich schwammigen Text selbst: „Mietkautionen und Umzugskosten können“ heißt es da, „durch den kommunalen Träger übernommen werden“, und sie „sollten“ es sogar, „wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst ist“, was fast schon verbindlich klingt. Nur: Ob die Darlehens-Praxis gerichtsfest ist, wird wohl nicht so schnell geklärt. „Ich hätte nicht übel Lust, die Sache auszufechten“, sagt zwar der Diakonie-Referent. Aber zur Klage berechtigt sind nur die Umzugspflichtigen. Die vielleicht auch nicht übel Lust hätten, ihre Rechte wahrzunehmen. Allerdings steht dem ihre Zwangslage entgegen: „Wenn die vor Gericht zögen“, vermutet Kochhan, „dann wäre die Wohnung weg.“