Transpis auf dem Spielplatz

Strichmännchen Wie ein Kind die Proteste sah

Ich war gerade einmal fünf Jahre alt – an viel kann ich mich nicht erinnern. Aber es war meine erste Demo. Ein Mädchen, nicht viel älter als ich, war vor meiner Haustür totgefahren worden – weil sie bei Grün über die Straße gefahren war. Meine Eltern waren geschockt.

Auf dem Spielplatz in der Mitte des Paulsenplatzes haben wir Transpis bemalt. Die Nachbarskinder waren auch da. Mit blauer Farbe pinselte ich einen Menschen auf ein Bettlaken: Eine Kugel als Kopf, eine Kugel als Bauch, und je zwei Striche als Arme und Beine, an den Enden zwei kleine Kreise als Hände und Füße. Das Kugelstrichmännchen hatte die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt.

Meine Mutter betrachtete das Kunstwerk. „Warum sind die Arme so abgespreizt?“, fragte sie, und antwortete dann selbst: „Ach, damit die Autos anhalten!“ Logisch. Das hatte ich mir aber gar nicht so überlegt. Ich konnte einfach nichts anderes malen als Kugelstrichmännchen, und zwar genau so, aber ich war zufrieden – mein Bild ergab Sinn.

Andere forderten einen Zebrastreifen zusätzlich zur Ampel. Das kam mir unlogisch vor. Wenn die Autos eh anhalten müssten, wäre doch die Ampel überflüssig. Wir haben das damals nicht ausdiskutiert. An die Demo selbst erinnere ich mich nicht. Auch, dass da ein sehr junger Mensch vor meiner Haustür einfach so in den Tod gerissen wurde, habe ich, glaube ich, gar nicht so richtig verstanden. Aber an das Holzkreuz, das jahrelang in der Mitte der Straße stand. Immer mit Blumen. Das hat einen tiefen, traurigen Eindruck hinterlassen.

Katharina Schipkowski