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Vom Korsett zum Style

Modewandel Zur Eröffnung der wiederhergestellten „Turnhalle“: Die Ausstellung „Sports/No Sports“ im Museum für Kunst & Gewerbe fragt nach Wechselwirkungen zwischen Sport, Alltagsmode und Haute Couture

von Robert Matthies

Gerade erst hatte sie in New York das erste Wasserballett der Welt aufgeführt, da wurde die aus­tra­lische Sportschwimmerin Annette Kellerman 1907 wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses am Revere Beach in Massachussetts festgenommen. Zu unanständig sei ihr eng anliegender Badeanzug, warf man ihr vor. Zu sehr widersprach Kellermans Ideal natürlicher Schönheit dem gesellschaftlichen Ideal der Sanduhrsilhouette: nicht durch Sport, sondern mit Schnürkorsetts wurde der weibliche Körper in Form gebracht, bodenlange Reifröcke simulierten dazu ausladende Hüften.

Doch Kellermann überzeugte das Gericht. Ein Etappensieg, der dazu führte, dass auch die Schwimmkleidung für Frauen zweckmäßiger wurde – und ungefährlicher: bis dahin waren sie gezwungen, in schwerfälligen Kleidern zu schwimmen.

Zum selben Zeitpunkt wurde mitten im Erdgeschoss des Museums für Kunst und Gewerbe noch geturnt, denn das 1877 errichtete Gebäude sollte schulische Lehre und praktische Kunst-Anschauung verbinden. Auch dort konnten sich die Mädchen schon ein wenig freier bewegen: vier Jahre zuvor wurde erstmals ein bewegungsfreundliches Turnkleid aus loser Bluse, Kniehose und darüber geknöpftem Rock eingeführt. 1907 wurde das Tragen eines Korsetts im Turnunterricht verboten.

1910 war mit dem Sport im Museum Schluss, aus der Turnhalle hinterm Eingangsfoyer wurde ein Ausstellungsraum, der 1950 durch eine Zwischendecke unterteilt wurde – und geriet in Vergessenheit. Nun ist die Baumaßnahme rückgängig gemacht und der lichtdurchflutete Saal wiederhergestellt worden.

Und jetzt wird dort auch wieder geturnt. Figurinen mit Sportbekleidung hängen an Trapezen an der Decke, auf einem stilisierten Schwebebalken sitzen Puppen mit Reitröcken und Reitanzügen, auf einer Wand laufen sich die Leichtathletik-Zwillinge Julia und Sarah Baier in einer Videoarbeit der Künstlerin Ulrike Lienbacher warm.

„Sports/No Sports“ heißt die Ausstellung, die sich zur Wiedereröffnung der „Turnhalle“ der Versportlichung des Lebens und dem damit einhergehenden Wandel in der Bekleidung widmet. Damit ist sie nach „Mythos Chanel“ und „Fast Fashion“ die dritte Ausstellung des Hauses, die sich kritisch mit dem Thema Mode auseinandersetzt.

Mit 110 Kleidern, Modellentwürfen, Fotos und Filmen wirft die Ausstellung einen Blick auf verschiedene Facetten des Verhältnisses von Sport, Alltagsmode und Haute Couture. „Vor dem Sport“ heißt etwa eine kleine Ecke, die sich der Kleidung der europäischen Aristokratie und des frühen Bürgertums widmet und deutlich macht, wie sehr vor allem das Bild des weiblichen Körper starren gesellschaftlichen Regeln folgte.

„Sport“ ist dann schlicht ein großer Teil der Ausstellung betitelt, der die Entwicklung von Turn- und Sportkleidung anhand von Reitklamotten, Bademode oder Tenniskleidern als Befreiungsgeschichte von starren Regeln, Korsett und Rockzwang hin zu einem hybriden und letztlich auch androgynen „anything goes“ erzählt. Das jedoch verweist dennoch immer wieder auf traditionelle Geschlechterbilder: bevorzugten etwa in den 1930er-Jahren viele Profitennisspielerinnen Shorts, hat sich heute wieder das kurze Tennisröckchen durchgesetzt.

Interessant zu sehen ist aber vor allem, wie sich die Entwicklung der Sportkleidung seit den 1920er-Jahren unter dem Stichwort „sportliche Eleganz“ mit jener der allgemeinen Mode verknüpft, wie Streetwear und Designermode die Typografie des Sports aufgreifen und aus der funktionellen Sportkleidung allmählich ein modisches „Athleisure“-Outfit wird. Merkwürdige Hybride sind da zu sehen, etwa ein Paillettenkleid von Tom Ford, in dem Pop, Mode und Sport nicht mehr voneinander zu trennen sind. Oder ein Herren-Jackett, das ähnlich wie sportive Techwear Muskelpartien durch Auslassungen betont.

Viele Facetten werden schlaglichtartig in den Blick genommen, einen systematischen Überblick bietet die Ausstellung nicht. Gerade darin liegt aber ihre Stärke: All die vielfältigen Querverbindungen und Rückkopplungen darf man selbst entdecken. Besonders spannend ist das im letzten Bereich der Ausstellung mit unbequemer, vollkommen unfunktionaler, fast untragbarer Avantgarde-Mode: Ganz abstrakt entwerfen hier vor allem japanische Designer Körper- und Geschlechterbilder, die sowohl Tradition als auch Trends weit hinter sich lassen.

Ausstellung „Sports/No Sports“: bis 26. Februar 2017, Museum für Kunst & Gewerbe

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