die taz vor 7 jahren über martin walsers paulskirchenrede
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Martin Walser ist ein deutscher Dichter. Als deutscher Dichter, der „den Deutschen das eigene Land und der Welt Deutschland erklärt“, so die Jurybegründung, erhielt er gestern den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Es war vorherzusehen, daß er in seiner Rede über dieses Deutschland und also über sich selbst sprechen würde. Denn Deutschland ist für Walser eine sehr persönliche, private Angelegenheit. Der Motor seines Schreibens liegt in der Diskrepanz begründet, lebenslänglich in einen Schuldkontext hineingeboren zu sein, der jedes eigene Glück zu einem fragwürdigen Akt des Verschweigens zu machen droht. Vielleicht liegt es daran, daß er Medienberichte über Rechtsradikalismus am liebsten gar nicht glauben möchte.

In Walsers Welt ist das Nationale eine Frage des Empfindens. Das Deutschtum erscheint darin als Erbsünde, die jeder mit sich selbst abzumachen hat. Alles öffentliche Sprechen über Auschwitz steht unter dem generellen Verdacht, ritualisiertes Lippenbekenntnis zu sein, und so sieht sich Walser umringt von „Meinungssoldaten“, die ihn mit „vorgehaltener Moralpistole“ zu Interviews zwingen.

Doch seltsam: Seine Lust an öffentlichen Bekenntnissen scheint noch zu wachsen, je unerbittlicher er sie dementiert. Das Private will politisch werden, weil es generalbaßartig vom Thema der deutschen Schuld grundiert wird. Das Politische aber ist privat, weil es für Walser nur empfindend und erleidend zum Sprechen zu bringen ist. Daraus spricht eine zutiefst protestantische Geschichtsauffassung, die das katholische Prinzip der persönlichen Erleichterung durch den Akt der Kommunikation in der Beichte ablehnt.

So ist er, der das Grundprinzip der Jahre unter Kohl, das Politische zu privatisieren, verkörpert, auch der Konsequenteste, wenn es darum geht, die Kohlsche Vorliebe für symbolische Politik zu überwinden. Walser schafft es, das Alte und das Neue zugleich zu verkörpern.

taz, 12. 10. 1998, Jörg Magenau